Oranienburg, Deutschland

Gedenkstätte und Museum „Sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1“ Sachsenhausen

 
Nur wenige Kilometer nördlich von Berlin befindet sich der weitläufige Komplex der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen. Von 1936 bis 1946 als Konzentrationslager genutzt, unterhielt die sowjetische Geheimpolizei NKWD dort von 1945 bis 1950 das größte der insgesamt zehn Speziallager in der SBZ. 1961 eröffnete an diesem Ort die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen, in der zu DDR-Zeiten ausschließlich das NS-Konzentrationslager erwähnt wurde. Nach 1990 wurden bis dahin verschwiegene Lagerkapitel sowie tabuisierte Opfergruppen in die Darstellung einbezogen. Seit 1993 gehört die Gedenkstätte zur Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und wurde umfassend umgestaltet. Heute ist sie ein Ort der Erinnerung an das NS-Konzentrationslager Sachsenhausen und an das sowjetische Speziallager. Im Rahmen eines dezentralen Museumskonzepts wird die Geschichte von Sachsenhausen mit seinen verschiedenen Phasen dargestellt und dokumentiert. Ein 2004 eröffnetes Besucherzentrum im Eingangsbereich führt in die komplexe Geschichte des Ortes ein. Im unmittelbaren Umfeld der Gedenkstätte befinden sich drei als Friedhöfe gestaltete Massengräber des sowjetischen Speziallagers, in denen mindestens 12 000 Tote anonym verscharrt wurden. Seit Herbst 2006 ist der Gedenkstätte die Internationale Jugendbegegnungsstätte – Jugendherberge „Haus Szczypiorski“ angegliedert, die sich in der ehemaligen Dienstvilla des „Inspekteurs der Konzentratioslager“ befindet. Das KZ Sachsenhausen wurde im Sommer 1936 von Häftlingen aus den Emslandlagern errichtet. Es war die erste Neugründung eines Konzentrationslagers nach der Ernennung des Reichsführers SS Heinrich Himmler zum Chef der Deutschen Polizei im Jahr 1936. Als Modell- und Schulungslager der SS und KZ in unmittelbarer Nähe der Reichshauptstadt nahm Sachsenhausen eine Sonderstellung im System der nationalsozialistischen Konzentrationslager ein: 1938 wurde die Verwaltungszentrale für alle Konzentrationslager im deutschen Machtbereich von Berlin nach Oranienburg verlegt. Zu dem 400 Hektar umfassenden KZ-Komplex in Oranienburg gehörten ausgedehnte Wohnsiedlungen für die höheren SS-Dienstgrade und ihre Familien, außerdem das ab 1938 an der Lehnitzschleuse errichtete Außenlager „Klinkerwerk“ sowie umfangreiche logistische und militärische Funktionsbereiche der SS. Zwischen 1936 und 1945 hielten die Nationalsozialisten im KZ Sachsenhausen mehr als 200 000 Menschen aus etwa 40 Nationen gefangen. Zunächst inhaftierte die SS dort politische Gegner des NS-Regimes: Kommunisten, Sozialdemokraten, liberale und konservative Politiker, dann zunehmend auch sozial und „rassisch“ Verfolgte wie Juden, Christen, Zeugen Jehovas, Sinti und Roma sowie Homosexuelle. Im Zuge der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ des Reichskriminalpolizeiamts lieferte die SS im März und Juni 1938 über 6 000 als „asozial“ eingestufte Menschen in das Lager ein. Nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurden mehr als 6 000 Juden aus Berlin und anderen Teilen des Deutschen Reiches nach Sachsenhausen deportiert. Seit Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 kamen zunehmend Häftlingen aus den von Deutschland besetzten Ländern Europas nach Sachsenhausen. Aufgrund der ständig wachsenden Zahl der Insassen verschlechterten sich die Haftbedingungen rapide. Tausende von Menschen starben an Unterernährung, Krankheit, Erschöpfung und Misshandlungen oder wurden von der SS im Rahmen spezieller „Aktionen“ ermordet. Im Spätsommer und Herbst 1941 wurden innerhalb weniger Wochen mehr als 10 000 sowjetische Kriegsgefangene in einer eigens dafür errichteten Genickschussanlage von der SS umgebracht. Weitere 3 000 starben auf dem Transport oder kurz nach der Ankunft im Lager. Nachdem bereits 1940 ein Krematorium mit einem Verbrennungsofen in Betrieb genommen worden war, errichtete die SS 1942 im Industriehof ein neues Gebäude, das neben vier Verbrennungsöfen eine Genickschussanlage und (ab 1943) eine Gaskammer enthielt. Der „Vernichtung durch Arbeit“ fielen unzählige Häftlinge zum Opfer. Die Gefangenen mussten in SS-eigenen Betrieben und in rund 100 KZ-Außenlagern für die SS oder die Rüstungsindustrie Zwangsarbeit leisten. Von der stärkeren Einbeziehung der Konzentrationslager in die Kriegsproduktion ab 1942 profitierten die großen Rüstungsbetriebe wie die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG), Siemens & Halske, DEMAG-Panzerwerk, Heinkel Flugzeugwerke, Daimler-Benz-Werke und die IG-Farben. Insgesamt kamen mehrere Zehntausend Menschen im KZ Sachsenhausen ums Leben. Kurz vor Kriegsende wurde das Lager evakuiert, wobei die SS etwa 3 000 nicht „marschfähige“ Häftlinge zurückließ. Diese wurden am 22./23. April 1945 durch sowjetische und polnische Einheiten befreit. Mehr als 30 000 Häftlinge hatten zwei Tage zuvor die Baracken verlassen müssen. Sie wurden auf ihrem „Todesmarsch“ Richtung Schwerin von Einheiten amerikanischer und russischer Truppen befreit. Viele Häftlinge überlebten den Marsch nicht. Ab August 1945 wurde das ehemalige KZ als „Speziallager Nr. 7“ von der sowjetischen Geheimpolizei NKWD genutzt. Der erste Transport mit 150 Häftlingen des sogenannten Vorkommandos traf am 10. August in Sachsenhausen ein, um das Barackenlager für die Aufnahme weiterer Häftlinge vorzubereiten, insbesondere, um die Schäden an den Sicherungsanlagen zu beheben. Am Morgen des 16. August wurden im 40 Kilometer entfernten Weesow 5 000 Häftlinge in Marsch gesetzt. Sie kamen am Abend in Sachsenhausen an und wurden im Barrackendreieck, in der sogenannten Zone I, untergebracht. Bis zum Ende des Jahres 1945 waren in Sachsenhausen über 11 000 Personen inhaftiert. Insgesamt wurden rund 30 000 Menschen aufgrund des Befehls Nummer 00315 als sogenannte Internierte nach Sachsenhausen gebracht. Diese Häftlinge waren nach den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens präventiv verhaftet worden und blieben über Jahre ohne formelles Gerichtsurteil unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt. Unter ihnen befanden sich vor allem untere und mittlere NS-Funktionäre wie Block- und Zellenleiter. Auf den Einlieferungslisten sind auch Angehörige von SS, Gestapo oder KZ-Wachmannschaften und Mitarbeiter von NS-Ministerien und Behörden sowie Jugendliche, einfache Mitglieder von NS-Jugendorganisationen, politische Gegner und willkürlich Verhaftete verzeichnet. Anfang des Jahres 1946 kamen Häftlinge einer neuen Häftlingsgruppe ins Lager. Sie wurden in der Zone II, einem gesonderten Lagerbereich, getrennt von den Internierten untergebracht. Es handelte sich dabei um ehemalige Offiziere der deutschen Wehrmacht, die aus westalliierter Kriegsgefangenschaft entlassen, von der sowjetischen Geheimpolizei NKWD beim Betreten der SBZ erneut inhaftiert und über Sachsenhausen schließlich in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportiert wurden. Am 16. und 17. September 1946 überstellte der NKWD die ersten Häftlinge, die durch ein Sowjetisches Militärtribunal (SMT) verurteilt worden waren, ins Speziallager Sachsenhausen. Sie kamen aus den mecklenburgischen Gefängnissen Alt-Strelitz und Güstrow. Insgesamt waren über 16 500 SMT-Verurteilte in Sachsenhausen inhaftiert. Die Mehrheit der Urteile basierte auf dem Paragraphen 58 des Strafgesetzbuches der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) aus dem Jahr 1927. Das Spektrum der in den sowjetischen Quellen zu lesenden Haftgründe ist breit: Spionage, Waffenbesitz, antisowjetische Propaganda, Werwolf-Tätigkeit, illegale Gruppenbildung, NS-Verbrechen, Diebstahl, Wirtschaftsvergehen, Verkehrsunfälle mit Sach- und Personenschäden, Mitwisserschaften und vieles mehr. Was sich jeweils konkret hinter solchen Vorwürfen verbarg, bleibt oft im Dunklen, jedoch kann in vielen Fällen von Willkür und unter Folter erpressten Geständnissen ausgegangen werden. Die Mehrheit der Häftlinge waren deutsche Männer. Bei den etwa 7 500 Ausländer – vor allem Russen, Ukrainer und Polen – handelte es sich um zahlreiche von den sowjetischen Geheimdiensten verfolgte russische Emigranten, sowjetische Kriegsgefangene, ehemalige Zwangsarbeiter und Soldaten der Roten Armee, aber auch um Angehörige der Wlassow-Armee. Die Lagerverwaltung hielt sie in abgesonderten Baracken gefangen, isoliert von den anderen Häftlingen. Die Mehrzahl der russischen Emigranten und Bürger der Sowjetunion blieb nur wenige Monate in Sachsenhausen, bis sie von hier aus in die Straflager des sowjetischen GULag transportiert oder in der Sowjetunion hingerichtet wurden. Insgesamt hielt die sowjetische Besatzungsmacht in Sachsenhausen zwischen 1945 und 1950 etwa 60 000 Personen gefangen. Mindestens 12 000 Gefangene starben in Sachsenhausen an den Folgen von Unterernährung, Kälte und Krankheiten. Die Speziallager waren im Unterschied zu den Lagern in der Sowjetunion keine Arbeitslager, das heißt, die Gefangenen waren zur Untätigkeit gezwungen. Den Häftlingen war jeglicher Kontakt zur Außenwelt strikt verboten („Schweigelager“). Es herrschten katastrophale hygienische und sanitäre Verhältnisse, hinzu kam eine unzureichende Ernährung. Die Ausbreitung von Krankheiten und Epidemien war die zwangsläufige Folge. Zwangsläufig breiteten sich Krankheiten und Epidemien aus. Etwa 5 000 Häftlinge wurden nach dem offiziellen Abschluss der Entnazifizierung in der SBZ 1948 aus dem „Speziallager Nr. 7“ entlassen. Bis zur Auflösung der sowjetischen Speziallager in der DDR im Frühjahr 1950 wurde das Lager in Sachsenhausen als „Speziallager Nr. 1“ weitergeführt. Im Januar und Februar 1950 wurden insgesamt ca. 8 000 Häftlinge entlassen, etwa 260 Häftlingen in die Lager der Sowjetunion deportiert. Mehrere Tausend Gefangene überstellte die sowjetische Geheimpolizei an die Behörden der DDR. Von diesen wurden 550 in den „Waldheimer Prozessen“ verurteilt. Bis zur Eröffnung der Gedenkstätte 1961 wurde das Lagergelände als Übungsplatz der NVA genutzt. Nachdem das Speziallager in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR über Jahrzehnte verschwiegen worden war, begann 1990 mit dem Fund der Massengräber die Annäherung an die „zweite“ Geschichte von Sachsenhausen. Bereits im Sommer 1990 wurde eine Gedenktafel zur Ehrung der Opfer stalinistischer Willkür am ehemaligen Durchgang zwischen Zone I und Zone II eingeweiht. Außerhalb des Sachsenhausener Gedenkstättengeländes, an der Carl-Gustav-Hempel-Straße, wird an einem weiteren Massengrab „An der Düne“ mit einem Gedenkstein an die Opfer des Speziallagers erinnert. Zudem gibt es ein weiteres Massengrab im Schmachtenhagener Forst. Das größte der drei Massengräber im nordöstlichen Umfeld des Lagers wurde durch die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945–1950 e. V. zu einem Friedhof mit einem Gedenkstein umgestaltet. Im Dezember 2001 eröffnete das Museum „Sowjetisches Speziallager Nr. 7/ Nr. 1 in Sachsenhausen 1945-1950“. Die ständige Ausstellung dokumentiert auf einer Fläche von über 350 Quadratmeter den Aufbau, die Organisation und den Haftalltag im Lager sowie dessen öffentliche Wahrnehmung in Ost und West. Einen Schwerpunkt der Ausstellung bildet die Darstellung der Verfolgungsschicksale von 27 Häftlingen des Speziallagers. Zum Museum gehören zwei in unmittelbarer Nähe befindliche Originalsteinbaracken der Zone II. In diesen beiden Gebäuden wird der Haftalltag im Lager dokumentiert. Zur Gedenkstätte gehören zudem eine Bibliothek und ein Archiv. Im Februar 2018 wurde außerdem das neue Depot der Gedenkstätte Sachsenhausen eröffnet, in dem das museale Sammlungsgut mit rund 35 0000 Objekten unter konservatorischen Bedingungen aufbewahrt wird. Nach Voranmeldung sind Führungen und thematische Sonderführungen mit einem Einführungsfilm möglich. Auch mehrtätige Seminare und Projekte zur Geschichte des Konzentrationslagers Sachsenhausen oder des Sowjetischen Speziallagers werden von der Gedenkstätte angeboten, ebenso wie verschiedene Workshopformate. 2010 erschien ein mit Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur erarbeitetes Buch mit den Namen von fast 12 000 Toten der Speziallager Weesow und Sachsenhausen. Das Totenbuch wurde 2022 in einer zweiten aktualisierten Auflage herausgebracht und ist auch in einer Online-Version öffentlich zugänglich.

Kontakt

Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Straße der Nationen 22
16515 Oranienburg

Inschriften

Inschrift des Gedenksteins
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
Dem Opfern / stalinistischer Willkür / im Speziallager Nr. 7 / 1945 – 1950
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch

Ereignisse

Dezember 2001 - Eröffnung
Museum „Sowjetisches Speziallager Nr. 7/ Nr. 1 in Sachsenhausen 1945-1950“
1993 - Eröffnung
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
April 1961 bis 1990 - Historie
Nationale Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen
August 1945 bis 1950 - Historie
Sowjetisches Speziallager Nr. 7 (seit 1948 Nr. 1)
Juli 1936 bis August 1945 - Historie
Konzentrationslager Sachsenhausen
März 1933 bis Juli 1934 - Historie
Konzentrationslager Oranienburg

Literatur

  • Mironenko, Sergej/Niethammer, Lutz/Plato, Alexander von (Hrsg.): Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950, Berlin 1998
  • Mählert, Ulrich: Das Gedenken an die Opfer wahren. Die Arbeitsgruppe NKWD-Speziallager der Gedenkstätte Sachsenhausen, in: Deutschland Archiv 31 (1998), H. 1, S. 12–15
  • Morsch, Günter/Reich, Ines (Hrsg.): Sowjetisches Speziallager Nr. 7, Nr. 1 in Sachsenhausen (1945–1950). Katalog der Ausstellung in der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Berlin 2005 (= Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten 14)
  • Seferens, Horst: Der systematische Schein des Unsystematischen. Das Museum „Sowjetisches Speziallager Nr. 7 / Nr. 1“ in der Gedenkstätte Sachsenhausen, in: März, Peter/Veen, Hans-Joachim (Hrsg.): Woran erinnern? Köln, Weimar, Wien 2006, S. 241-251
  • Reich, Ines; Titz, Wolfgang: Speziallagergeschichte verstehen. Pädagogische Angebote der Gedenkstätte Sachsenhausen, in: Behrens, Heidi/Wagner, Andreas (Hrsg.): Deutsche Teilung, Repression und Alltagsleben.Leipzig 2003, S. 206-215
  • Hilger, Andreas/Schmeitzner, Mike/Schmidt, Ute (Hrsg.): Sowjetische Militärtribunale, Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955, Köln, Weimar, Wien 2003

Publikationen der Bundesstiftung

  • Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016
 
  • Kategorie: Gedenkort
  • Historisch: Ja
  • Standort: Straße der Nationen 22
  • Stadt: Oranienburg
  • Ortsteil: Sachsenhausen
  • Gebiet: Brandenburg
  • Land: Deutschland