Inmitten der hügeligen südthüringischen Landschaft sind auf einen kleinen Friedhof eine Trafostation und ein Beobachtungsturm der DDR-Grenztruppen zu sehen. Mehr ist von dem 1340 erstmals urkundlich erwähnten kleinen Dorf Billmuthausen nicht übriggeblieben, das im Zuge der DDR-Grenzsicherungsmaßnahmen abgerissen wurde. Zuvor war die Bevölkerung des in unmittelbarer Nähe zu Bayern liegenden Ortes durch die DDR-Behörden schrittweise zur Aussiedlung gezwungen worden. Auch zwei weitere Dörfer im Kreis Hildburghausen wurden geschleift.
Bereits im Spätsommer 1945 gab es die erste Vertreibung aus Billmuthausen. Der Gutsbesitzer Hermann Ludloff wurde von deutschen Hilfspolizisten der sowjetischen Geheimpolizei NKWD verhaftet und in das sowjetische Speziallager Nr. 2 Buchenwald gebracht. Seine Familie wurde durch die Bodenreform entschädigungslos enteignet und auf die Insel Rügen deportiert. Zwölf Neubauern erhielten das aufgeteilte Gutsland und das spätklassizistische Gutshaus wurde abgerissen. 1952 fiel das Dorf in die 500 Meter breite „Schutzzone“, die im Zuge der Schließung und Sicherung der Staatsgrenze durch den Ministerrat der DDR beschlossen worden war. Billmuthausen, das 50 Einwohner zählte, war daraufhin für Bewohner und Besucher nur noch mit einer Sondergenehmigung zugänglich. Als Reaktion auf die Abriegelung flüchteten am 20. Juni 1952 sieben Familien mit insgesamt 34 Personen nach Bayern. Um einer Verödung der verlassenen Häuser entgegenzuwirken, wies die DDR-Regierung die leerstehenden Höfe Industriearbeitern zu. Im Jahr 1952 gründete man eine LPG, die alteingesessenen Familien arbeiteten jedoch bis zur Zwangskollektivierung 1960 als Einzelbauern weiter. Nach dem Beginn des Mauerbaus in Berlin am 13. August 1961 wurden die militärischen Sicherungsmaßnahmen an der innerdeutschen Grenze nochmals verschärft und ein 100 Meter breiter „Schutzstreifen“ mit Metallzaun und Fluchthindernissen eingerichtet. Wie schon im Juni 1952 wurden nun „unerwünschte Personen“ im unmittelbaren Grenzgebiet zur Umsiedlung gezwungen. Der Abriss der spätgotischen Dorfkirche 1965 trug dazu bei, den Druck auf die Bewohner zu verstärken, das Dorf zu verlassen. In den 1970er Jahren wurde durch die Einrichtung von Selbstschussanlagen und Minenfelder im Grenzstreifen die Absicherung der Grenze durch die DDR-Grenzorgane abermals verschärft. Die schrittweise Abriegelung führte dazu, dass schließlich die letzten Familien 1978 das Dorf verließen. Daraufhin beschloss der Rat des Kreises Hildburghausen den als „Grenzmaßnahme Billmuthausen“ bezeichneten Abriss aller Gebäude. Den ehemaligen Bewohnern gelang es, den Friedhof des Dorfes vor einer Verlegung zu bewahren. Der Zugang zum Friedhof blieb jedoch bis zur Grenzöffnung 1989 gesperrt.
Nach dem Ende der DDR wurde der Billmuthäuser Friedhof neu eingezäunt. Dieter Ludloff, der inzwischen 64-jährige Sohn des Gutsbesitzers Ludloff, errichtete 1991 auf dem Friedhof einen Familiengedenkstein mit einer Inschrift. Zudem installierte er einen Schaukasten mit Dokumenten über die Geschichte des Ortes.
Am 22. Januar 1992 wurde mit der Enthüllung einer Bronzetafel des Dresdner Malers und Grafikers Martin Hänisch die Gedenkstätte Billmuthausen eingeweiht. Doch bereits im März war die Gedenktafel verschwunden. Im Oktober 1995 wurden drei Ortseingangsschilder mit der Inschrift „Gedenkstätte Billmuthausen“ aufgestellt und im November die Gedenkplatte mit gleicher Inschrift und gleichem Motiv erneuert. Ehemalige Bewohner installierten am früheren Standort ihres Hauses einen Schaukasten mit Bildern des Gebäudes und einer Inschrift.
Im November 1996 konnten die rekonstruierte Friedhofsmauer und die neu errichtete Brunnenanlage eingeweiht werden. Der jetzt überdachte Brunnen trägt auf der Vorderseite eine Inschrift. Im September 1997 wurde ein vier Meter hohes hölzernes Mahnkreuz auf dem Friedhof errichtet und im Juni 1998 am Querbalken ein Metallgitterkranz angebracht. Seit Oktober 1997 gibt es in einem Sechseckpavillon auf dem Friedhof einen Schaukasten mit Informationen. Die im Januar 1965 abgerissene Kirche Billmuthausen wurde durch eine kleine Kapelle ersetzt. Ein steinernes Relief aus der Kirche war vom Stadtmuseum im Schloss Eisfeld aufbewahrt worden und konnte der Kapelle übergeben werden.
Im November 1999 fand die Weihe der Gedächtniskapelle statt. In ihrem Inneren sind sechs Schaukästen mit der Darstellung von Geschichte und Schicksal von Billmuthausen (1340–1978), Leitenhausen (1317–1972) und Erlebach (1365–1987) angebracht. Am Eingang der Gedächtniskapelle hängt eine Tafel mit einer Inschrift.
Kontakt
Gedenkstätte Billmuthausen
98663 Billmuthausen
Inschriften
Inschrift des Gedenksteins der Familien Ludloff
(auf dem Friedhof)
Familie / Ludloff / 1834–1945
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift auf der Vorderseite der Begrüßungstafel
Wanderer, der Du vorübergehst, / verweile. / Gedenke der jüngsten deutschen Vergangenheit! / Hier stand seit 1340 das Dorf / Billmuthausen / 1978 zerstört, / seine Einwohner vertrieben
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift der Informationstafel
(am Eingang der Gedächtniskapelle)
Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, / wird blind für die Gegenwart. / R. v. Weizsäcker
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift des Informationskastens
(am früheren Standort des Anwesens der Familie Pfeifer)
Haus und Heimat wurden uns genommen. Familie Marianne und Willi Pfeifer / erbaut: 1780 – zerstört: 1978
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift auf der Rückseite der Begrüßungstafel
Der Friedhof / heute zentrale Gedenkstätte / und der Trafoturm / sind die letzten sichtbaren zeugen / des Dorfes Billmuthausen
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Literatur
- Bennewitz, Inge/Potratz, Rainer: Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze, Berlin 1994 (= Forschungen zur DDR-Geschichte, Bd. 4)
- Fuchs, Norbert: Billmuthausen. Das verurteilte Dorf, Hildburghausen 1991
- Gedenkstätte Billmuthausen – ein geschleiftes Dorf, hrsg. vom Förderverein Gedenkstätte Billmuthausen, Hildburghausen 2002
- Ullrich, Maren: Geteilte Ansichten. Erinnerungslandschaft deutsch-deutsche Grenze, Berlin 2006
Publikationen der Bundesstiftung
- Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016