Halle (Saale), Deutschland

Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale)

 
Im Jahre 1842 wurde dem königlich-preußischen Innenministerium in Halle eine neue Strafanstalt für Häftlinge mit hohem Strafmaß übergeben. Beim Bau des Gebäudes (1836–1842) verwendete man Porphyr und Ziegelsteine mit rötlicher Färbung, die zusammen mit der architektonischen Anordnung des Gebäudes schnell den Beinamen „Roter Ochse“ einbrachten. Schon im Kaiserreich wurden auf dem Gelände der Strafanstalt Hinrichtungen durchgeführt, so beispielsweise die Exekution zweier an einem Attentat auf Kaiser Wilhelm I. (22. Dezember 1883) beteiligten Personen im Jahre 1885. Um die Wende zum 20. Jahrhundert gehörten zu dem Gebäude außerdem ein Lazarett und eine „Irrenanstalt“. In der Anfangszeit der Weimarer Republik wurden im „Roten Ochsen“ neben kriminellen Häftlingen auch Teilnehmer der Novemberrevolution und Beteiligte späterer politischer Unruhen inhaftiert. Im Zuge der Modernisierung und Liberalisierung des deutschen Strafvollzuges in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es auch im Hallenser Gefängnis zu einer Reihe von Verbesserungen. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten änderte sich das Regime in der Strafvollzugsanstalt grundlegend. Der Anteil politischer Häftlinge stieg im Verhältnis zu den kriminellen Gefangenen sprunghaft an. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Strafvollzugsanstalt wieder Hinrichtungsstätte. Hier enthaupteten und erhängten die Nationalsozialisten von November 1942 bis April 1945 mehr als 500 Menschen verschiedener Nationalitäten. Das Gefängnis wurde außerdem in die Rüstungsproduktion des „Dritten Reiches“ eingebunden, wofür auf dem Gelände der Strafvollzugsanstalt ein größeres Werkstattgebäude entstand. Im April 1945 wurde ein Teil der Gefängnisinsassen „evakuiert“, d. h. sie wurden auf einen Marsch geschickt, den viele von ihnen nicht überlebten. Die im „Roten Ochsen“ verbliebenen Gefangenen erhielten mit der Besetzung der Stadt durch die amerikanische Armee am 17. April 1945 ihre Freiheit. Nach Abzug der Amerikaner und mit der Übernahme der Stadt durch sowjetische Truppen im Juli 1945 wurde das Gefängnis zur Untersuchungsanstalt des sowjetischen Geheimdienstes NKWD. Es wurde außerdem zum Sitz der Sowjetischen Militärtribunale (SMT), dessen Zuständigkeitsbereich sich auf die Provinz Sachsen und das spätere Land Sachsen-Anhalt erstreckte. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden hie Todesurteile, u. a. aufgrund des „Werwolf“-Verdachtes, verhängt. Wie viele Personen nach 1945 hier hingerichtet wurden, ist bis heute ungeklärt. Weitere Verurteilungsgründe waren illegaler Waffenbesitz, tatsächliche oder vermeintliche Spionage, sogenannte Wirtschaftsvergehen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der überwiegende Teil der Urteile war mit hohen Haftstrafen (bis 25 Jahre) verbunden, die in Lagern in der SBZ oder denen in der Sowjetunion verbüßt werden mussten. Im Jahre 1950 zog das MfS in das Gebäude ein, das zunächst auch noch vom sowjetischen Geheimdienst genutzt wurde. Dieser war, nach Aussagen ehemaliger Häftlinge, in dieser Zeit maßgeblich am Aufbau der MfS-Untersuchungshaftanstalt (UHA) beteiligt. Im „Roten Ochsen“ befand sich neben der UHA der Stasi ab 1950 auch eine Strafvollzugsanstalt des Ministerium des Inneren (MdI). Hier versammelten sich während des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 etwa 700 bis 800 Menschen und versuchten, die Gefangenen zu befreien. Zuvor war die Haftanstalt II in der Kleinen Steinstraße erfolgreich gestürmt worden. Die Erstürmung des „Roten Ochsen“ wurde jedoch von sowjetischen Panzern verhindert. Zwischen 1950 und 1989 sind etwa 10 000 Häftlingszugänge in der Untersuchungshaftanstalt der Stasi verzeichnet worden. Genaue Zahlen von den inhaftierten politischen Gefangenen im Zuständigkeitsbereich des MdI im „Roten Ochsen“ liegen bislang nicht vor. Im Jahre 1989 beschäftigte das MfS ca. 350 Mitarbeiter in der UHA „Roter Ochse“. Sein Ende kam mit Auflösung des MfS und der Gründung des Amts für Nationale Sicherheit (AfNS) durch die Regierung Modrow Mitte November 1989. Die letzten noch verbliebenen U-Häftlinge wurden entweder entlassen oder in die UHA des MdI verlegt. Am 4. Januar 1990 entschied der Runde Tisch des Bezirkes Halle, das Bezirksamt für Nationale Sicherheit Halle ab sofort dem Bürgerkomitee direkt zu unterstellen und vollständig aufzulösen. Im Jahre 1993 beschloss die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, in einem Teil der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftanstalt eine Gedenkstätte einzurichten. Der andere Teil des Gebäudes wird seit 1991 wieder als Justizvollzugsanstalt genutzt. Die Gedenkstätte „Roter Ochse“ wurde am 15. Februar 1996 vom Innenminister Sachsen-Anhalts Manfred Püchel eröffnet. 2006 wurde die Ausstellung überarbeitet und in der sanierten Gedenkstätte neu eröffnet. Sie dokumentiert die Geschichte des „Roten Ochsen“ in den Jahren zwischen 1933 bis 1945 sowie von 1945 bis 1989. Auf dem Südhof der Gedenkstätte befinden sich zwei Gedenktafeln.

Kontakt

Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt - Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale)
Am Kirchtor 20a
06108 Halle (Saale)

Inschriften

Inschrift der Gedenktafel
(im Hof der Gedenkstätte)
Zum Gedenken / an die unschuldigen Opfer / politischer Verfolgung / durch stalinistische / und SED-Unrechtsjustiz / 1945–1989
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch

Literatur

  • Fricke, Kurt: Die Justizvollzugsanstalt „Roter Ochse“ Halle (Saale) 1933–1945. Eine Dokumentation, Magdeburg 1997 (= Gedenkstätten und Gedenkstättenarbeit im Land Sachsen-Anhalt, Heft 3)
  • Sperk, Alexander: Die MfS-Untersuchungshaftanstalt „Roter Ochse“ von 1950 bis 1989. Eine Dokumentation, Magdeburg 1998 (= Gedenkstätten und Gedenkstättenarbeit im Land Sachsen-Anhalt, Heft 4)
  • Viebig, Michael: Das Zuchthaus Halle (Saale) als Richtstätte der nationalsozialistischen Justiz 1942 bis 1945, Magdeburg 1998 (= Gedenkstätten und Gedenkstättenarbeit im Land Sachsen-Anhalt, Heft 5)
  • Gursky, André: Erna Dorn „… zum Tode verurteilt ...“ am 22. Juni 1953 in Halle (Saale), Magdeburg 1996 (= Schriftenreihe Sachbeiträge der LStU Sachsen-Anhalt)
  • Gursky, André: Die Vorgeschichte des Dessauer Schauprozesses, hrsg. von der LStU Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2000 (= Reihe Sachbeiträge, Teil 13)
  • Gursky, André: Zivilcourage. Der 17. Juni 1953 in Halle. Die Verfolgung und Verurteilung von Teilnehmern des Volksaufstandes, dargestellt auf der Grundlage von Akten der Justiz und des Ministeriums für Staatssicherheit, Magdeburg 2003

Publikationen der Bundesstiftung

  • Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016
 
  • Kategorie: Gedenkort
  • Historisch: Ja
  • Standort: Am Kirchtor 20a
  • Stadt: Halle (Saale)
  • Gebiet: Sachsen-Anhalt
  • Land: Deutschland