Die Stadt- und Pfarrkirche St. Nikolai ist das größte und älteste Gotteshaus der Stadt Leipzig. Sie entstand um 1165 im Zentrum der Stadt an der Kreuzung zweier bedeutender Handelsstraßen, die Ost- und West- sowie Süd- und Nordeuropa miteinander verbanden. Geweiht wurde die Kirche dem mittelalterlichen Schutzheiligen der Kaufleute Nikolaus. Mit der der Reformation in Leipzig wurde die Nikolaikirche 1539 Sitz des ersten Superintendenten und damit zur Hauptkirche Leipzigs.
Über Leipzig hinaus bekannt wurde die Kirche durch die montäglichen Friedensgebete mit anschließenden Demonstrationen im Herbst 1989, die wesentlich zur Friedlichen Revolution in der DDR beigetragen haben. Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Montagsdemonstrationen stieg von etwa 20 000 am 2. Oktober auf 500 000 am 6. November 1989.
Anfang der 1980er Jahre war die Ausbreitung einer unabhängigen Friedensbewegung in der DDR als Gegenbewegung zur offiziell propagierten Friedenspolitik der Staats- und Parteiführung nicht mehr zu übersehen. Vor dem Hintergrund der drohenden atomaren „Nachrüstung“ der NATO und der Aufstellung neuer Raketensysteme beteiligten sich immer mehr Menschen an kirchlichen Friedenskreisen. Die DDR-Regierung reagierte auf die Aktivitäten der Friedensbewegung repressiv, u. a. mit Studien- und Berufsverboten oder Gefängnisstrafen. Ab 1982 initiierte eine Junge Gemeinde aus dem Leipziger Osten jeden Montag um 17 Uhr Friedensgebete in der Nikolaikirche, die zunehmend von Bürger- und Menschenrechtsgruppen sowie Initiativen zur demokratischen Erneuerung der Gesellschaft bestimmt wurden. Die Kirche öffnete sich auch für Bürger, die ihre Ausreise aus der DDR beantragt hatten, was zu einem sprunghaften Anstieg der Teilnehmenden an den Friedensgebeten führte. Bis zu 1 000 Menschen kamen montags in der Nikolaikirche zusammen.
Ein Friedensgebet im April 1989, das vom Arbeitskreis „Gerechtigkeit“ gestaltet wurde, forderte offen und unmissverständlich dazu auf, sich gegen die Entmündigungen durch den Staat zu wehren und für einen Wandel der politischen Verhältnisse einzutreten. Seit dem 8. Mai 1989 wurden die Zufahrtsstraßen zur Kirche überwacht und blockiert. Später kontrollierte die Volkspolizei sogar die Autobahnabfahrten nach Leipzig oder sperrte diese für die Zeit der Friedensgebete. Die staatlichen Behörden verstärkten den Druck auf die Kirche, die Friedensgebete abzusetzen oder wenigstens von der Nikolaikirche an den Stadtrand zu verlegen. Montag für Montag kam es in diesem Zusammenhang zu Verhaftungen und „Zuführungen“, vor allem als sich ab September 1989 die sogenannten Montagsdemonstrationen an die Gebete anschlossen. Dennoch stieg die Zahl der Besucher weiter, bis die 2 000 Plätze in der Nikolaikirche nicht mehr ausreichten. Um dennoch die Botschaft der Gewaltlosigkeit zu übermitteln und die Menschen vor der Polizei zu schützen, wurden ab dem 2. Oktober 1989 in vier anderen Innenstadtkirchen zur gleichen Zeit Friedensgebete gehalten. Am 9. Oktober, zwei Tage nach dem 40. Jahrestag der DDR, sollte wieder eine Montagsdemonstration stattfinden. Die Staatsmacht stellte den Protestierenden diesmal ein enormes Aufgebot von Armee, Kampfgruppen mit gepanzerten Fahrzeugen, Polizei und zivilen Beamten entgegen und forderte die Bürger auf, die Innenstadt zu meiden. Doch als die 2 000 Besucher des Friedensgebetes aus der Nikolaikirche strömten, warteten bereits zehntausende beherzte Leipziger mit Kerzen in den Händen auf dem Platz. Mit diesen Zeichen der Gewaltlosigkeit, mit den Rufen „Wir sind das Volk“ und „Keine Gewalt“ zogen sie zum Innenstadtring.
Die zentralen Schauplätze der Ereignisse 1989 waren die Nikolaikirche und der Nikolaikirchhof (Platz vor der Kirche). Dort erinnern das Originalschild „offen für alle“ am Eingang der Kirche sowie eine Gedenktafel mit der Inschrift „In dieser Kirche beteten die Helden unserer Tage. Sie streuten damit eine Saat, die im Oktober 1989 überall im Land aufging“ an die Friedliche Revolution 1989. Im Rahmen der Expo 2000 wurde der Nikolaihof neugestaltet. Eine mit Palmwedeln gekrönte Säule aus dem Kirchenschiff ist auf dem Platz nachgebildet worden. Das von der Kulturstiftung Leipzig initiierte Kunstprojekt von Andreas Stötzner trägt den Gedanken des Aufbruchs von 1989 symbolisch aus der Kirche hinaus. Am 9. Oktober 1999, dem 10. Jahrestag der Friedlichen Revolution, wurde die Säule in Anwesenheit des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, von Sachsens ehemaligem Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und Leipzigs damaligem Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee der Öffentlichkeit übergeben. Seit 2009 wird die Säule bei Dunkelheit durch drei Bodenstrahler illuminiert.
2003 wurde auf dem Nikolaikirchhof mit Unterstützung der Stiftung „Lebendige Stadt“ zudem ein Granitbrunnen aufgestellt. Entworfen hat ihn der Londoner Künstler David Chipperfield. Der Brunnen wird von einer aus 146 farbigen Glaswürfeln bestehenden Lichtinstallation der Leipziger Künstler Tilo Schulz und Kim Wortelkamp umgeben. Sie trägt den Titel „public light_öffentliches licht“. Die in blau, grün und magenta gehaltenen Pflastersteine werden nach Einbruch der Dunkelheit per Zufallsprinzip beleuchtet und bilden eine wachsende Zahl von Lichtpunkten, wodurch das Zusammenströmen der Menschen im Herbst 1989 symbolisiert wird.
Am 12. März 2012 enthüllten der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung und die Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst die Europäischen Kulturerbesiegel an der Nikolaikirche, an der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ und am Leipziger Innenstadtring. Alle drei historischen Orte zählen damit offiziell zum Netzwerk „Stätten des Eisener Vorhangs“.
Kontakt
Nikolaikirchhof 3
04109 Leipzig
Inschriften
Inschrift der Gedenktafel
(unterhalb der Säule auf dem Kirchhof)
9. November 1989
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift der zweiten Gedenktafel
(auf dem Kirchhof)
Stiftung Lebendige Stadt // Der Brunnen von David Chipperfield und / die Lichtinstallation "public light_öffentliches licht" / von Tilo Schulz udn Kim Wortelkamp wurden / von der Stiftung "Lebendige Stadt" gespendet. // Die Einweihung erfolgte am 09. Oktober 2003, / dem Jahrestag der entscheidenden Montagsdemonstration / vom 9. Oktober 1989.
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Literatur
- Czok, Karl: Die Nikolaikirche Leipzig, Leipzig 1992
- Hollitzer, Tobias/Bohse, Reinhard (Hrsg.): Heute vor 10 Jahren. Leipzig auf dem Weg zur friedlichen Revolution, Leipzig 2000
Publikationen der Bundesstiftung
- Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016