Am 19. März 1970 besuchte mit Bundeskanzler Willy Brandt das erste Mal ein Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland einen Ministerpräsidenten der DDR. Der Besuch Brandts in der DDR war in der Bundesrepublik heftig umstritten, die CDU warf dem Bundeskanzler „Verrat“ vor. Bei dem Treffen von Brandt mit Willi Stoph in Erfurt und dem Gegenbesuch in Kassel im Mai 1970 blieben die beiden Regierungschefs zunächst bei ihren Grundpositionen. So beharrte Stoph auf der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR, während Brandt besondere innerdeutschen Beziehungen ausbauen wollte.
Bekannt wurde das Erfurter Treffen dadurch, dass vor Brandts Hotel, dem „Erfurter Hof“, DDR-Bürger zu spontanen Beifallsbekundungen und „Willy, Willy“-Rufen zusammenkamen. „Willy Brandt ans Fenster“ forderten mehrere Tausend Bürger, die es trotz des Urlaubsverbots, das für die Betriebe in Erfurt an diesem Tag ausgesprochen worden war, sowie den Sperren in den Straßen um den Hauptbahnhof zum Hotel „Erfurter Hof“ schafften. Das MfS und Volkspolizei konnten dies nicht unterbinden. Dennoch wurden zahlreiche Menschen verhaftet, die das DDR-Fernsehen später als „bestellte Provokateure“ aus dem Westenbezeichnete. Die SED-Führung hatte versucht, auf dem Bahnhofsvorplatz mit eigenen Jublern aufzutreten, die den DDR-Ministerpräsident Willi Stoph hochleben ließen und die Losung riefen: „Forderung an Willy Brandt – DDR wird anerkannt“. Das wesentliche Ergebnis dieses Treffens war, dass überhaupt wieder Verhandlungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurden. Zu einer vertraglichen Regelung der deutsch-deutschen Beziehungen kam es jedoch erst mit den Ostverträgen im Jahr 1972.
Das berühmte Zimmer 222, aus dem Willy Brandt winkte, blieb auch nach Schließung das Hotels Erfurter Hof 1995 erhalten. Aus dem Nachbarzimmer wird allabendlich ein Bild des früheren Bundeskanzlers angeleuchtet und an der Fassade des Gebäudes erinnert eine Gedenktafel an Willy Brandt. Dafür verantwortlich ist insbesondere der Verein „Willy-Brandt-Zimmer im Erfurter Hof“, der sich für den Erhalt des historischen Ortes engagiert. Der Platz vor dem früheren Hotel heißt inzwischen „Willy-Brandt-Platz“. Das Haus selbst beherbergt seit 2007 eine Sparkasse sowie Restaurants und Büroräume.
Seit dem 20. Mai 2009 erinnert der 21 Meter langer und über ein Meter hohe Leucht-Schriftzug "Willy Brandt ans Fenster" auf dem Dach des Erfurter Hos an das denkwürige Ereignis des Jahres 1970. Für das Denkmal hatte es einen deustchlandweiten Wettbewerb gegeben, bei dem im Jahr 2007 der Berliner Künstler David Mannstein den Zuschalg erhielt. Der ursprüngliche Vorschlag Mannsteins sah allerdings den Schriftzug „Willy komm ans Fenster“ vor. Diese Abweichung vom Originalwortlaut stieß bei vielen Bürgern auf Widerstand. Andere forderten strikt das Aufstellen eines klassischen Denkmals bzw. einer Gedenktafel. Im Zuge der Vermittlungsversuche des Oberbürgermeisters Andreas Bausewein lenkte der Künstler ein. Nach weiteren langwierigen Verhandlungen mit der Landesentwicklungsgesellschaft konnte die Leuchtschrift schließlich in der heute vorzufindenden Form angebracht werden.
Inschriften
Inschrift der Gdenktafel
(an der Außenfassade des "Erfurter Hof")
Jetzt wächst zusammen / was zusammen gehört / Willy Brandt / 18.12.1913 / 8.10.1992
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Literatur
- Honnigfort, Bernhard: Willy Brandts Fenster, in: Frankfurter Rundschau, 11.8.2004, S. 8
- Grachtrup, Bettina: Wo das Ende der Eiszeit begann, dpa, 30.7.2003
Publikationen der Bundesstiftung
- Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016