Katyń, Russische Föderation

Staatliche Gedenkstätte Katyń mit polnischem Militärfriedhof

 
Der knapp 20 Kilometer westlich von Smolensk gelegene Wald von Katyń ist seit der Entdeckung von rund 4400 Lei­chen polnischer Offiziere im Frühjahr 1943 zum Symbol für den sowjetischen Massen­mord an polnischen Kriegsgefangenen ge­worden. Im Juli 2000 wurde hier eine Ge­denkstätte mit drei separaten Abteilungen eröffnet, die den verschiedenen an diesem berüchtigten Ort ermordeten Opfergrup­pen gewidmet sind: den 1937–1938 exeku­tierten sowjetischen Opfern des stalinisti­schen Terrors, den 1940 durch den NKWD erschossenen polnischen Offizieren sowie den 1943 von deutschen Einsatzgruppen hingerichteten sowjetischen Kriegsgefan­genen. Zuvor hatte Katyń ein halbes Jahr­hundert lang zu den umstrittensten Or­ten der europäischen Geschichte gezählt, da die Sowjetunion die Verantwortung für den Massenmord an den polnischen Solda­ten bis 1990 vehement geleugnet hatte. Die Geschichte Katyńs war dementsprechend eine Geschichte von Geheimhaltung und wiederholter Vertuschung. Heute steht außer Zweifel, dass von den insgesamt knapp 15 000 polnischen Kriegs­ gefangenen und rund 7000 weiteren pol­nischen Häftlingen aus den 1939 von der Sowjetunion einverleibten ostpolnischen Gebieten, die aufgrund eines Beschlusses des Politbüros der KPdSU im Frühjahr 1940 ermordet wurden, rund 4400 Offiziere in Katyń den Tod fanden. Sie waren zuvor in einem Speziallager des NKWD auf dem Gelände des ehemaligen orthodoxen Klos­ters Optina Pustyn in Koselsk interniert gewesen und wurden vermutlich in Eisen­bahnwaggons bis zur Station Gnjosdowo transportiert, von dort in den nahegele­genen Wald gefahren und direkt an zuvor ausgehobenen Gruben erschossen. Trotz strenger Geheimhaltung der Exe­kutionen wurden ihre Leichen in den fol­genden Jahren von der ortsansässigen Be­völkerung sowie von polnischen Zwangs­arbeitern entdeckt. Nachdem die deut­schen Besatzer darauf aufmerksam gewor­den waren, nutzten sie die Offenlegung der Massengräber im April 1943 zu einer großangelegten antisowjetischen Propagandakampagne. Zugleich wurden die Toten unter Aufsicht einer internationalen Expertengruppe exhumiert, die die sowje­tische Verantwortung für die Tat bestätigte. Nach Abschluss der Arbeiten bestatteten Mitarbeiter der Technischen Kommission des Polnischen Roten Kreuzes die sterbli­chen Überreste provisorisch; dabei wur­den die beiden identifizierten Generäle Bronisław Bohatyrewicz und Mieczysław Smorawiński in individuellen Gräbern bei­gesetzt. Nachdem die Rote Armee im September 1943 das Gebiet um Smolensk zurücker­obert hatte, bemühte sich eine sowjetische Kommission unter Leitung von Nikolaj Burdenko, den Beweis zu führen, die Polen seien erst im Herbst 1941 von den vorrü­ckenden deutschen Truppen erschossen worden. Dabei wurde der zuvor angeleg­te provisorische Friedhof zerstört. Seither blieb der Ort hermetisch abgeriegelt und durfte über Jahrzehnte nicht besucht wer­den. Nichtsdestoweniger wurden in Katyń seit den 1960er Jahren mehrere Denkmäler errichtet, die der sowjetischen Behauptung eines faschistischen Massenmordes ent­sprachen. Ein zwei Meter hoher Obelisk aus schwarzem Granit wurde 1974 durch eine größere Anlage ersetzt, die aus zwei, später vier in Beton eingefassten Gräbern und einer 1,7 Meter hohen Steinmauer mit einem Ziergitter in der Mitte bestand. Indessen wuchs vor allem in polnischen Exilkreisen im Westen, seit Anfang der 1980er Jahre aber auch bei der Opposition in der Volksrepublik Polen, die Kritik an der von der Sowjetunion beharrlich vertre­tenen These der deutschen Verantwortung für den Massenmord. Im Zuge der vom so­wjetischen Staats-­ und Parteichef Michail Gorbatschow ausgerufenen Perestroika wurde es polnischen Staatsbürgern 1988 erstmals wieder möglich, die Gräberstät­te zu betreten. So konnte eine polnische Delegation bei einem Besuch am 2. Au­gust jenes Jahres ein vom Primas der ka­tholischen Kirche in Polen, Kardinal Józef Glemp, gestiftetes Eichenkreuz aufstellen, das die Hoffnung auf die Errichtung einer neuen Gedenkstätte ausdrücken sollte. Als kaum zwei Jahre später, am 14. April 1990, mit Wojciech Jaruzelski erstmals ein polnischer Staatspräsident Katyń besuch­te, waren die Inschriften an dem dortigen Memorial eilig entfernt worden – am Tag zuvor hatte die Sowjetunion offiziell die Täterschaft des NKWD eingeräumt. Die politische Transformation ermög­lichte eine erneute Untersuchung der Mas­sengräber durch polnische Experten, die in den Jahren 1994 und 1995 durchgeführt wurde und die Erkenntnisse über das Mas­saker des NKWD bestätigte. Nach lang­wierigen Verhandlungen wurde am 25. März 1995 eine polnisch­-russische Verein­barung über die Errichtung von Gedenkstätten in Katyń sowie in Mednoje, der letzten Ruhestätte tausender polnischer Polizisten, unterzeichnet. Diese sah sepa­rate polnische Militärfriedhöfe im Rah­men gemeinsamer Gedenkorte, die allen Opfern totalitärer Gewalt gewidmet sein sollten, vor. Auf dieser Basis konnte am 4. Juni 1995 durch den polnischen Staats­präsidenten Lech Wałęsa der zuvor von Papst Johannes Paul II. geweihte Grund­stein für den polnischen Friedhof in Katyń gelegt werden. Die polnischen Sektionen der Gedenk­stätten in Katyń und Mednoje sowie der gemeinsame Friedhof in Charkiw wurden nach dem Entwurf einer von Zdzisław Pi­dek aus Danzig und Andrzej Sołyga aus Warschau geleiteten Gruppe gestaltet, der im Oktober 1996 in einem internationalen Wettbewerb ausgewählt worden war. Die Künstlergruppe schlug als zentrale Ele­mente aller drei Friedhöfe eine senkrechte Gedenkwand, eine unterirdische Glocke sowie einen Altartisch mit Kreuz vor. Je nach örtlichen Gegebenheiten wurde die­ses Konzept bei der Realisierung etwas variiert. Für die Gestaltung des russischen Teils der Gedenkstätte wurde im März 1998 ein Entwurf von M. D. Chazanow ausgewählt. Nach Abstimmung der bei­den Konzepte begann im Mai 1999 der Bau der vorwiegend aus Mitteln des polni­schen und russischen Staates finanzierten Gedenkstätte, die schließlich am 28. Juli 2000 offiziell eröffnet werden konnte – 60 Jahre nach dem historischen Ereignis. An der feierlichen Einweihungszeremonie nahmen, neben den Angehörigen der Op­fer, der polnische Ministerpräsident Jerzy Buzek, der russische Vizepremier Wiktor Christenko, der Primas der katholischen Kirche in Polen, Kardinal Józef Glemp, so­ wie Ehrenkompanien der polnischen und russischen Streitkräfte teil. Der Besucher betritt die Gedenkstät­te durch einen durchbrochenen Erdwall, dessen Seiten durch eine gläserne Wand miteinander verbunden sind. Im Inneren des Walls ist die Verwaltung der Gedenk­stätte sowie eine Dauerausstellung zur Ge­schichte des Ortes untergebracht. Auf dem Weg durch den Wald zu den Gräberstätten schließt sich ein Platz an, auf dem zwei sich kreuzende stilisierte Tore aus Metall stehen. Von hier aus führen getrennte We­ge zu den polnischen und russischen Sek­tionen der Gedenkstätte sowie zur »Allee der Erinnerung und polnisch­-russischen Versöhnung«. Die an den oberen Querbal­ken des Tores angebrachten Nationalflag­gen Russlands und Polens weisen auf die getrennten Bereiche hin. Außerdem befinden sich an diesem Platz ein orthodoxes Kreuz und eine Gedenktafel für 500 sowje­tische Kriegsgefangene, die 1943 von deut­schen Einsatzgruppen in Katyń ermordet wurden. Der Eingang zum Friedhof der 1940 er­schossenen polnischen Offiziere wird von zwei eisernen Säulen mit dem Wappen der Polnischen Armee flankiert. Der offizielle Name des »Polnischen Militärfriedhofs Katyń« ist in den gepflasterten Boden ein­gelassen. Kurz hinter dem Eingang befin­det sich auf der linken Seite das 1988 vom polnischen Primas gestiftete Holzkreuz. Der Friedhof gliedert sich in zwei Berei­che: zum einen die ehemaligen Todesgru­ben, an denen die Offiziere erschossen und verscharrt wurden, und zum anderen die eigentlichen Gräber, in die sie nach der Exhumierung 1943 umgebettet wurden. Die Bereiche der Todesgruben sind mit Ei­senplatten belegt, während die sechs 1943 angelegten Massengräber im Zentrum des Friedhofs durch eiserne Einfassungen markiert sind, in deren Mitte jeweils ein Kreuz aus Eisen liegt. Neben den Massen­gräbern befinden sich außerdem zwei 1943 eingerichtete individuelle Grabstätten für zwei identifizierte Generäle, die mit be­schrifteten eisernen Grabplatten belegt wurden. Der gesamte Bereich der Gräber erhebt sich ein bis zwei Meter über das Niveau des umgebenden Waldes und wird von einer Mauer umschlossen, an der ei­serne Epitaphen mit Namen, Geburtsdaten und militärischen Rängen der 4400 ermor­deten Offiziere angebracht sind. Die zentrale Achse des polnischen Fried­hofs verläuft zwischen den Gräbern und wird an einem Ende von vier niedrigen eisernen Stelen mit den Symbolen des katholischen, jüdischen, orthodoxen und muslimischen Glaubens begrenzt, deren Angehörige auf dem Friedhof ihre letzte Ruhe gefunden haben. Am gegenüberlie­genden Ende der Achse befindet sich der Mittelpunkt der Anlage: der eiserne Altar­tisch mit einer sechs Meter hohen eisernen Gedenkwand, in deren Oberfläche die Na­men der Opfer gegossen sind. In der Mitte ist die Wand durch einen schmalen Spalt unterbrochen, hinter dem sich ein schlan­kes Kreuz aus Eisen über die Wand erhebt. Zwischen beiden Teilen der Gedenkwand hängt unterhalb der Erdoberfläche eine Glocke, welche die Verse des mittelalterli­chen Kirchenliedes »Bogurodzica« (»Mut­ter Gottes«) und die Inschrift »KATYŃ« trägt. Der dumpfe Klang der unterirdi­schen Glocke soll auf die Erfolglosigkeit der jahrzehntelangen Versuche verweisen, die Wahrheit über die Toten von Katyń zu verschweigen. Vor dem Altartisch ist die zentrale Gedenktafel in den Boden eingelassen. Schließlich befinden sich im polnischen Teil der Anlage noch überdi­mensionale eiserne Nachgüsse der polni­schen Orden »Virtuti Militari« sowie des »Kreuzes des Septemberfeldzugs«, die den in Katyń ermordeten Offizieren posthum verliehen worden waren. Das Gräberfeld der sowjetischen Opfer des Großen Terrors 1937–1938 befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes mit dem Tor. An seinem Eingang steht ein zehn Meter hohes orthodoxes Ge­ denkkreuz aus Metall. Da das Terrain der sowjetischen Massengräber nicht genau erforscht wurde, ist es teilweise nur über Stege begehbar, um die Ruhe der Toten nicht zu stören. Neun lokalisierte Grab­ stellen sind durch kleine, mit einer niedri­ gen Umzäunung umfasste Hügel markiert. Der polnische und der russische Teil der Gedenkstätte sind durch eine »Allee der Erinnerung und polnisch­russischen Ver­ söhnung« miteinander verbunden. In dem außerhalb des Geländes der Gedenkstätte befindlichen »Tal der Toten«, in dem wei­tere 200 sowjetische Opfer ruhen, wurde 2009 ein Gedenkstein errichtet. Anlässlich des 70. Jahrestages des Mas­senmords von Katyń wurde die Gedenk­stätte am 7. April 2010 gemeinsam vom russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin und seinem polnischen Amtskolle­gen Donald Tusk besucht. Dabei legten sie auch den Grundstein für eine orthodoxe Kirche mit angeschlossenem Bildungszen­trum neben dem Haupteingang des Gedenkkomplexes. Auf dem Weg zu einer weiteren Trauerfeier wenige Tage später verunglückten der polnische Staatspräsi­dent Lech Kaczyński und die ihn beglei­tende, polnische Delegation beim Landeanflug der Präsidentenmaschine auf den Flugplatz von Smolensk. Am ersten Todes­tag Kaczyńskis und seiner Begleiter, dem 11. April 2011, gedachten sein Nachfolger Bronisław Komorowski und der russische Präsident Dmitri Medwedew gemeinsam der Opfer von Katyń. Damit besuchte erst­mals ein russisches Staatsoberhaupt den Ort des Verbrechens. Am 15. Juli 2012 wurde die orthodoxe »Kirche der Wieder­auferstehung des Herrn« neben der Ge­denkstätte von dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. eingeweiht, die dem Gedenken an die dort umgebrachten russischen Opfer, aber auch der Versöhnung mit Polen ge­widmet ist.

Inschriften

Inschrift des ehemaligen Gedenksteins
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
Здесь / захоронены / военнопленные / польские офицеры, / зверски замученные / немецко-фашист- / скими оккупантами / осень о 1941 года Ś. P. / Tu są pogrzebani / niewolnicy ofice- / rowie Wojska Pols- / kiego w straszych [sic] / męczeniach zamor- / dowanych prez [sic] niemiecko-faszyst- / kich [sic] okupantów / jesienią 1941 roku.
Deutsche Übersetzung:
Hier liegen die gefangenen Offiziere der Polnischen Armee begraben, die in schrecklichem Martyrium im Herbst 1941 von den deutschen faschistischen Okkupanten ermordet wurden.
Sprache: Russisch / Polnisch, Schrift: Kyrillisch / Lateinisch
Inschrift des ehemaligen Memorials
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
Жертвам фашизма – польским офицерам, расстрелянным гитлеровцами в 1941 году Ofiarom faszyzmu – oficerom polskim – rozstrzelanym przez hitlerowców w 1941 roku
Deutsche Übersetzung:
Den Opfern des Faschismus – den polnischen Offizieren, die von den ­Hitleristen 1941 erschossen wurden
Sprache: Russisch / Polnisch, Schrift: Kyrillisch / Lateinisch
Inschrift der Gedenktafel des polnischen Militärfriedhofs
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
W hołdzie / ponad 4400 / spoczywającym / w lesie Katyńskim / oficerom / Wojska Polskiego / jeńcom wojennym / z obozu w Kozielsku / zamordowanym / wiosną 1940 r. / przez NKWD / Naród Polski
Deutsche Übersetzung:
Zu Ehren der über 4400 Offiziere der Polnischen Armee, die im Wald von Katyń ruhen, jener Kriegsgefangenen aus dem Lager in Koselsk, die im Frühjahr 1940 durch den NKWD ermordet wurden. Die polnische Nation.
Sprache: Polnisch, Schrift: Lateinisch
Inschrift der Glocke
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
Bogurodzica dziewica / Bogiem sławiena Maryja! / U twego syna Gospodzina / Matko zwolena, Maryja! / Zyszczy nam, spuści nam / Kyrielejson / Twego dziela Krzciciela / bożycze usłysz głosy / napełń myśli człowiecze. / Słysz modlitwę, jąż nosimy, / A dać raczy, jegoż prosimy: / A na świecie zbożny pobyt, / Po żywocie rajski przebyt. / Kyrieleison.
Deutsche Übersetzung:
Gottesmutter, Unbefleckte, gottgeweihte Frau Maria, Bei dem Sohne auf dem Throne, benedeite Frau Maria, Bitt für uns, bet für uns! Kyrie eleison. Um des eigenen Täufers willen, Gottessohn, Hör die Stimmen, gib den Menschen rechten Lohn! Hör´s Gebet aus unsrer Mitten Und gewähr, was wir erbitten: Auf der Erde reichen Segen, Nach dem Tod ein ewig Leben. Kyrie eleison. Übersetzung nach Hans-Peter Hoelsch-Obermaier, in: Jelicz, Antonia: Polnisches Mittelalter. Ein literarisches Lesebuch, Frankfurt am Main 1987, S. 143.
Sprache: Polnisch, Schrift: Lateinisch

Ereignisse

Juli 2000 - Eröffnung
Eröffnung der Gedenkstätte

Publikationen der Bundesstiftung

  • Kaminsky, Anna (Hrsg.): Erinnerungsorte für die Opfer von Katyn, Leipzig 2013