Neubrandenburg, Deutschland

Mahn- und Gedenkstätte Fünfeichen

 
Fünfeichen, ein ehemaliges landwirtschaftliches Gut am südlichen Rand von Neubrandenburg, wurde 1938 von der Wehrmacht gekauft, die hier im Herbst 1939 von Gefangenen das Kriegsgefangenenlager Stalag II E und das Offiziersgefangenenlager Oflag II E errichten ließ. Bis zu Hunderttausend Armeeangehörige aus zehn Ländern waren hier in sechs Kriegsjahren interniert. Besonders hoch war die Todesrate unter den sowjetischen Kriegsgefangenen, die als „rassisch Minderwertige“ katastrophalen Lagerbedingungen ausgesetzt waren. Am 28. April 1945 wurden das Kriegsgefangenen- und das Offizierslager durch die Rote Armee befreit. Von Mai bis September 1945 diente das Lager zur Unterbringung befreiter Kriegsgefangener, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, die auf ihre Rückkehr in die Heimat warteten. Von Juni 1945 bis November 1948 nutzte die sowjetische Geheimpolizei NKWD das Lagergelände in Fünfeichen weiter als Speziallager Nr. 9, in dem über 15 000 Menschen inhaftiert wurden. Wie die anderen sowjetischen Lager war Fünfeichen gegenüber der Außenwelt nahezu vollständig isoliert. Die höchste Häftlingszahl wurde im September 1946 mit 10 679 Menschen registriert, von denen vier Prozent weibliche Häftlinge waren. Im Lager befanden sich nahezu ausschließlich Internierte und eineige wenige Kriegsgefangene. Das Lager bestand aus fünf Zonen: dem Nord- und Südlager, einem Lagerbereich für Frauen, einem Wirtschaftshof sowie einem Bad und den Quarantänebaracken. Das gesamte Lager war von mehreren Reihen Stacheldrahtzaun umgeben. Im Nordlager befand sich das Lagergefängnis. Der Lazarettbereich lag außerhalb des eigentlichen Lagers. Fünfeichen unterschied sich von den anderen NKWD-Lagern in der Sowjetischen besatzungszone (SBZ) dadurch, dass mit ungefähr der Hälfte der Lagerinsassen ein relativ hoher Anteil in Lagerwerkstätten oder Außenkommandos arbeitete. Die Häftlinge setzten sich aus unteren NS-Funktionären, wie Block- und Zellenleitern, aber auch angeblichen „Spionen“, „Saboteuren“, „Werwölfen“, Betriebsleitern und Verwaltungsbeamten zusammen. Unter die Kategorie „Werwolf“ fielen vor allem Jugendliche, die zumeist nach Denunziationen unschuldig verhaftet worden waren. Zu den im Lager Fünfeichen festgehaltenen Kriegsgefangenen zählten auch Wehrmachtssoldaten, Angehörige des Volkssturms sowie der SS und SA. Eine juristische Überprüfung der Schuldvorwürfe unterblieb. Auf Grund der schlechten Haftbedingungen überlebte ein Drittel der Häftlinge die Haftzeit nicht. Am 4. November 1948 wurden die letzten 179 Internierten aus Fünfeichen in das Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen verlegt. Der Befehl Nr. 4 der Abteilung Speziallager des NKWD vom 18. Januar 1949 beendete offiziell die Existenz des Lagers. Bis 1950 waren die Lagerbaracken und zahlreiche andere Gebäude abgerissen. Allein das ehemalige Gutshaus überdauerte als Ruine. 1961 wurde eine Gedenkanlage für die Opfer des Kriegsgefangenenlagers errichtet, deren würdevolle Pflege allerdings unterblieb, da sie von 1979 bis 1990 im militärischen Sperrgebiet der NVA lag. Die Geschichte und die Toten des Speziallagers wurden in der DDR tabuisiert. 1990 führten Recherchen des Regionalmuseums Neubrandenburg zum Auffinden von zwei Gräberfeldern mit Toten des Speziallagers. Diese wurden markiert und gesichert. 1991 wurde die Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen als Interessenvertretung ehemaliger Häftlinge des Speziallagers und ihrer Angehörigen gegründet. 1993 konnte ein neugestaltetes Mahnmal eingeweiht werden. Den Entwurf für das schräg stehende, gestützte Kreuz lieferte der Holzbildhauer Uwe Grimm aus Neu Wokern bei Teterow. Im November 1999 wurden auf dem südlichen Gräberfeld 59 Bronzetafeln mit den Namen von über 5 000 Opfern des NKWD-Lagers Fünfeicheneingeweiht. Im Jahr 2007 erhielt die Stadt Neubrandenburg genauere Kenntnis von der Zahl der verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen. Diese sollen, ebenso wie alle anderen namentlich bekannten Opfer, ihre Identität durch die Installation von Namenstafeln auf dem ehemaligen Kriegsgefangenenfriedhof zurückerhalten. Seit 2021 erschließt ein zweisprachiger Lehrpfad das Lager- und Gedenkstättengelände. Es ist der vierte seiner Art in Neubrandenburg, der unter dem Titel „Spurensuche – Orte der Gewalt“ an einem historischen Schauplatz im Stadtgebiet erinnert. Am Volkstrauertag finden alljährlich Gedenkveranstaltungen in Fünfeichen statt.

Inschriften

Die Namen der im NKWD-Lager Fünfeichen bereits / 1945 und Anfang 1946 verstorbenen, rechtlosen / Häftlinge, die von Leid und Qual befreit auf diesem / ihre letzte Ruhestätte gefunden haben / sind namentlich auf den Gedenktafeln, die das / große Gräberfeld umsäumen, zum Erinnern mit / aufgeführt // Stadt Neubrandenburg / Der Oberbürgermeister / Grünflächenamt // Arbeitsgemeinschaft / Funfeichen / Der Sprecherkreis
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
(Gedenktafel im Eingangsbereich)
Allen Toten von Fünfeichen / zu immerwährendem Gedenken / und den Lebenden zur Mahnung. // Nach 1945 kamen hier / in diesem Lager / der sowjetischen Besatzungsmacht / tausende deutsche / Männer, Frauen und / Jugendliche um. Sie / starben an Hunger, / Seuchen und Krankheit. / Auf zwei Grabfeldern im Wald und an anderen / Stellen sind sie als / Namenlose der Erde über- / geben / worden. Der Weg / zur deutschen Einheit / im Jahre 1990 gab den / Opfern ihre Würde zurück. // Auf diesem Friedhof von / Kriegsgefangenen des Zweiten / Weltkrieges ruhen 500 / Soldaten und Offiziere / in Einzelgräbern. / Sie kamen aus Bel- / gien, Frankreich, Groß- / britannien, Italien, den / Niederlanden, Polen, Serbien, / der Slowakei und den USA. / Mehr als 1 000 kriegsge- / fangene Soldaten der Roten / Armee starben in Fünf- / eichen an den Folgen / schlechter / Behandlung. Sie wurden in / Gruppengräbern bestattet.
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch

Literatur

  • Baumann,Tobias: „Das Speziallager Nr. 9 Fünfeichen“, In: Mironenko, Sergej u. a. (Hrsg.): Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 195. Bd. 1: Studien und Berichte. Berlin 1998, S. 426–444
  • Briefe Betroffener und Hinterbliebener. Fünfeichen 1945–1948, Neubrandenburg 1990
  • Die Opfer von Fünfeichen. Gedanken und Erinnerungen, hrsg. vom Sprecherrat der AG Fünfeichen, Neubrandenburg 2000
  • Krüger, Dieter/Kühlbach, Egon: Schicksal Fünfeichen. Neubrandenburg, Teil I: Gefangene im NKWD/MWD-Lager Fünfeichen 1945 bis 1948, Versuch einer Ermittlung, Neubrandenburg 1991

Publikationen der Bundesstiftung

  • Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016