Von 1945 bis 1950 befand sich auf dem Gelände der Haftanstalt Bautzen I das Sowjetische Speziallager Nr. 4. Mindestens 27 000 Menschen waren hier inhaftiert. Der größte Teil von ihnen waren Opfer von Willkür und Denunziationen sowie politische Gegner des stalinistischen Systems. Aber auch NS- und Kriegsverbrecher saßen in dem nach seiner gelben Klinkerfassade so benannten „Gelben Elend“ ein. Die menschenunwürdigen Haftbedingungen des Lagers kosteten Tausende Menschen das Leben. Ihre Leichname wurden auf dem Karnickelberg verscharrt, der sich nordwestlich an die heutige Justizvollzugsanstalt anschließt. Nach Auflösung des Speziallagers 1950 gerieten die Gräber in Vergessenheit. In späteren Jahren baute die Stadt Wohnanlagen unterhalb des Hügels.
Erst im Zuge der Friedlichen Revolution 1989 rückte der Karnickelberg wieder in das öffentliche Bewusstsein. Am 10. November 1990 errichtete das neugegründete Bautzen-Komitee, ein Zusammenschluss ehemaliger Häftlinge der Bautzener Haftanstalten, einen ersten, mit einer Inschrift versehenen Gedenkstein aus Naturgranit, auf.
1992 begannen schließlich Suchgrabungen auf dem Gelände, durch die zunächst die sterblichen Überreste von 189 Speziallagerhäftlingen geborgen werden konnten. Der Karnickelberg wurde somit zum zentralen Gedenkort für die Opfer des Lagers. In der Folgezeit wurde das Areal mit Unterstützung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der Stadt Bautzen und des Freistaates Sachsen zu einem Friedhof umgestaltet. Auf der neuerrichteten Gräberstätte sind in zehn Gräberreihen 248 inzwischen geborgene Opfer bestattet. Am Eingang zur Gräberstätte befindet sich außerdem eine Gedenktafel mit einer Inschrift.
Ein großes Holzkreuz mit einer Gedenktafel markiert den Beginn der Grabanlage. Rechts und links davon stehen zwei Granitsteine, die die Namen von 61 Toten tragen. Sie erinnern an namentlich bekannte Opfer des Speziallagers, deren sterbliche Überreste jahrzehntelang in Urnen in Görlitz aufbewahrt worden waren und die 1996 auf dem Karnickelberg beigesetzt wurden. Andere namenlose Granitkreuze erinnern symbolisch an die Toten, die nicht mehr auffindbar sind. Ein weiterer Gedenkstein wurde für die 248 geborgenen Toten errichtet.
Am 13. September 2000 wurde nach dreijähriger Planungs- und Bauzeit eine Gedächtniskapelle geweiht. Sie soll den Besuchern des Karnickelberges als ökumenischer Ort der Andacht dienen. In der Kapelle befindet sich ein Totenbuch, in dem die namentlich bekannten Verstorbenen des Speziallagers verzeichnet sind. Links und rechts daneben erinnern zwei Granitstelen mit den Jahreszahlen 1945 und 1950 an die Toten des Speziallagers, sowie 1950 und 1956 an jene, die nach der Auflösung des Lagers und der Übergabe an die Deutsche Volkspolizei gestorben sind. 2011 wurden auf Initiative des Bautzen-Komitees zudem acht Tafeln mit Namen der über 3 000 Toten geordnet nach ihrem Sterbedatum in der Kapelle angebracht.
2013 wurde das für Besucher zugängliche Gräberfeld vergrößert. Es umfasst nun das gesamte ehemalige Massengrab auf dem Karnickelberg. Reinhard Pohl, Sohn eines ehemaligen Speziallagerhäftlings, spendete 300 000 Euro für die Umbauarbeiten des Gedenkortes. Neben dem vergrößerten Gräberfeld wurden am 24. November 2013 außerdem eine halbrunde Wand aus gelben Klinkersteinen, ein Rundweg und Hinweistafeln zur Geschichte des Ortes eingeweiht. An der Gedenkwand ist die Inschrift „Hier haben die an Kraft Erschöpften Ruhe“ zu lesen. In einem etwa zwei Meter tiefen Graben können Besucher die verschiedenen Erdschichten des ehemaligen Massengrabes sehen.
Kontakt
Bautzen-Komitee e.V.
Weigangstraße 8a
02625 Bautzen
Gedenkstätte Bautzen
Weigangstraße 8a
02625 Bautzen
Inschriften
Inschrift der halbrunden Gedenkwand aus gelben Klinkersteinen
(neben dem vergrößerten Gräberfeld)
Hier haben die an Kraft Erschöpften Ruhe
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift der Gedenktafel am Eingang
Gräberstätte der / Opfer kommunistischer / Gewaltherrschaft in den / Bautzener Gefängnissen
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift des Gedenksteines
Hier ruhen / 248 Tote, die / geborgen werden / konnten, im Ge-/ denken auch an / die vielen Toten, / die nicht mehr / auffindbar sind
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift auf dem Holzkreuz
Leiden zu lindern, / Wunden zu heilen, / aber auch Tote zu / ehren, Verlorene zu / beklagen, bedeutet / Abkehr von Hass, / bedeutet Hinkehr zur / Liebe, und unsere Welt / hat Liebe nötig. / (Paul Löbe)
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift auf dem 1990 errichteten Gedenkstein
Den / Opfern der/kommunistischen / Gewaltherrschaft / in den Bautzener / Gefängnissen zum / Gedenken – den / Lebenden zur / Mahnung.
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Ereignisse
24. November 2013 - Einweihung
Einweihung der Gedenkwand
2011 - Einweihung
Anbringung der Gedenktafel in der Kapelle
13. September 2000 - Einweihung
Einweihung der Gedächtniskapelle
Literatur
- Erinnern für die Zukunft. Formen des Gedenkens – Prozess der Aufarbeitung. XI. Bautzen-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung, 14. und 15. September 2000, Leipzig 2000
Publikationen der Bundesstiftung
- Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016