Auf Initiative der Hansestadt erinnert seit 2019, dem 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, vor dem Gebäude der Vorpommerschen Landesbühne eine Gedenktafel an die lokalen Ereignisse der Friedlichen Revolution.
Das Theater vermochte aufgrund seines öffentlichkeitswirksamen Charakters, vielleicht noch stärker als andere literarische Erscheinungsformen in der DDR, das Interesse des Publikums auf sich zu ziehen. Dies erregte zugleich die Aufmerksamkeit staatlicher Stellen und eröffnete damit einen Katalog an Maßregelungen von Zensur bis Aufführungsverboten. So auch im Falle des Theaters in Anklam, an dem zwischen 1981 und 1985 Frank Castorf als Oberspielleiter wirkte. Anfang der 1980er Jahre gelang es ihm mit seinen alternativen Produktionen nicht nur,
Kulturschaffende wie Herbert König, Kurt Naumann, Hendrik Arnst oder Horst-Günter Marx in die vorpommersche Region zu holen. Zugleich zogen seine Inszenierungen regelmäßig theaterbegeisterte Zuschauer aus den größeren Städten der DDR an. In verschlüsselter Weise thematisierten die Stücke reale Probleme in der Gesellschaft. Dies erregte die Aufmerksamkeit staatlicher Stellen und hatte zur Folge, dass Aufführungen verzögert, verhindert oder gänzlich abgesetzt wurden. Die Vehemenz staatlicher Eingriffe nahm zu. Im März 1984 kulminierte sie darin, dass der Hauptdarsteller Horst-Günter Marx bei der Inszenierung von Brechts „Trommeln in der Nacht“ von der Bühne herunter verhaftet und das Generalprobenpublikum polizeilich aufgelöst wurde. Noch vor der Premiere soll der im Stück geäußerte Satz an die Öffentlichkeit gedrungen sein: „Ellenbogen muss man haben“ – in der Ellenbogenstraße befand sich der Sitz der Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Anklam. Kurz darauf verließ Frank Castorf die mecklenburgische Stadt.
Das Theater Anklam blieb auch im Verlauf des Jahres 1989 ein bewegter Ort. Im Herbst gründete sich in der Stadt die Bürgerbewegung „Wende 89“. Am 24. Oktober kamen bei einer Versammlung auf dem Marktplatz etwa 5000 Bürger zusammen, dabei traten sowohl der Bürgermeister als auch der örtliche Pfarrer wortreich auf. Anschließend mündete die Zusammenkunft in eine Dialogveranstaltung, welche die Arbeiter der örtlichen Betriebe zur Verlautbarung einer Resolution nutzten. Zugleich fand in der Marienkirche in Anwesenheit von 800 Menschen das erste Friedensgebet unter dem Motto „Zum Frieden in der Welt und der Zukunft in unserem Lande“ statt. Die Gebete sollten sich von da an bis zum 16. April 1990 jeden Montag wiederholen. Auf Initiative des Pfarrers Hans-Martin Moderow gründete sich am 27. Oktober 1989 eine Interessengruppe zur Fortführung des angestoßenen Dialoges. Sie konstituierte sich – ähnlich den späteren Runden Tischen – aus jeweils zwei Vertretern der Parteien und Massenorganisationen sowie Repräsentanten der lokalen Bürgerbewegung und der Evangelischen Kirche. Für diese „Montagsgespräche“ öffnete das Theater Anklam ab dem 30. Oktober seine Bühne.
Bei einer Demonstration am 7. November versammelten sich etwa 2000 Menschen und forderten Reformen. Knapp einen Monat nach dem Fall der Berliner Mauer erwirkten couragierte Bürger am 5. Dezember 1989 die Versiegelung einzelner Räume der MfS-Kreisdienststelle. Einen Tag zuvor hatte der städtische Runde Tisch am Anklamer Theater seine Arbeit aufgenommen.
Inschriften
Inschrift der Gedenktafel
(am Theater Anklam)
Friedliche Revolution / 1989/90. // Im Oktober 1989 erreichten die Ereignisse, die 1990 zum friedli- / chen Ende der deutschen Demokratischen Republik führten, auch / Anklam. Die bis dahin größte Demonstration fand am 24. Oktober / auf dem Markt statt. Etwa 5 000 Bürgerinnen und Bürger hatten / sich versammelt, ein Viertle der Anklamer Bevölkerung. Danach / wurde die Anklamer Marienkirche der zahlreich besuchte Ort des / politischen Dialogs. / Am 30. Oktober wurden im Anklamer Theater regelmäßig „Mon-/ tagsgespräche“ durchgeführt. Heute noch existierende, wie auch / vergessene Parteien und Bürgerbewegungen versammelten und / gründeten sich in diesem Haus. / Das Anklamer Theater erregte schon zu DDR-Zeiten Aufsehen. Der / nach der Wende gefeierte Frank Castorf entwickelte hier seine / avantgardistische Ästhetik und zog Berliner Publikum und Künstler / an, die hier eine neue, zeitweilige Wirkungsstätte fanden. Es war / naheliegend, dass dieses Haus auch zu einem Ort, einer Bühne des / aktuellen Geschehens wurde. / Ab dem 4. Dezember wurden hier die „Runden Tische“ regelmäßige / Treffen zwischen Parteien, Massenorganisationen und Bürgerinitia- / tiven und zum Inbegriff demokratischer Willensbildung. Von vielen / Beteiligten wird der Winter 1989/90 im Rückblick als ebenso un-/ erwarteter wie engagierter Aufbruch und als Erfahrung tatsächlich / gelebte Demokratie empfunden. / Mit deutlichem Bezug auf die Anklamer Ereignisse drehte Andreas / Dresen 1991 hier seinen Wende-Film „Stilles Land“.
Sprache: Deutsch / Englisch / Polnisch / Schwedisch, Schrift: Lateinisch
Ereignisse
2019 - Einweihung
Einweihung der Gedenktafel zur Erinnerung an die Friedliche Revolution
Literatur
- Irmer, Thomas / Schmidt, Matthias: Die Bühnenrepublik. Theater in der DDR. Ein kurzer Abriß mit längeren Interviews, in: Bergmann, Wolfgang (Hrsg.), Bonn : Bundeszentrale für Politische Bildung Bildung, 2006
Publikationen der Bundesstiftung
- Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns an die Friedliche Revolution, Berlin 2024