Halle (Saale), Deutschland

Gedenktafel zur Erinnerung an die Ereignisse im Herbst 1989

 
In dem Gebäudekomplex, der heute das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt beherbergt, befand sich bis 1990 eine Schule der Transportpolizei sowie ab 1988 ein „Zentraler Zuführungspunkt“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Vom Stadtzentrum abgelegen, wurde das Gebäude zur Internierung und erkennungsdienstlichen Behandlung von systemkritischen Menschen genutzt. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR fanden auch in Halle (Saale) am 7. und 9. Oktober 1989 Protestaktionen statt, bei denen es zu gewaltsamen Räumungen sowie zu Festnahmen und Repressionen durch die Volkspolizei kam. An diese Ereignisse erinnert seit dem 1. Oktober 2019 eine Gedenktafel vor dem Gebäude des Landesamtes für Umweltschutz. Im Rahmen der Gebäudesanierung entschloss sich das Landesamt zur Erforschung der Geschichte des Hauses und zur Anbringung einer Gedenktafel. Der Verein Zeit-Geschichte(n) e. V. unterstützte das Vorhaben mit einem Entwurf des Tafeltextes sowie der Fördermittelakquise. An der Finanzierung beteiligten sich darüber hinaus die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie Mitarbeiter des Landesamtes mit Privatspenden. An der feierlichen Enthüllungszeremonie nahmen die Präsidentin des Landesamtes für Umweltschutz, Dr. Sandra Hagel, mehrere Zeitzeugen, der Oberbürgermeister von Halle (Saale), Bernd Wiegand, sowie die damalige Landesbeauftragte, Birgit Neumann-Becker, teil. Begleitet wurde die Veranstaltung durch ein Rahmenprogramm mit Filmvorführung und anschließendem Podiumsgespräch in der Marktkirche. Auf den erstmals öffentlich präsentierten historischen Aufnahmen eines Überwachungsfilmes des MfS sind die Geschehnisse am 9. Oktober 1989 zu sehen. Stefan Hellem und Anja Falgowski, die damals beteiligt waren, machten darauf aufmerksam, dass die entscheidende Zeitspanne, in der das MfS den Marktplatz gewaltsam räumte, von der Staatssicherheit später herausgeschnitten wurde. Der Hallenser Umweltaktivist, Wolfgang Schuster und der ehemalige Superintendent des Kirchenkreises Halle, Günther Buchenau, berichteten von den damaligen innerkirchlichen Debatten um Oppositionsgruppen und gaben einen Einblick in die Aktivitäten der Bürgerbewegung. Während der Demonstrationen am 7. und 9. Oktober 1989 wurden neben einigen Protestteilnehmern viele Passanten und auch Minderjährige festgenommen. Die Verhafteten wurden mit LKWs zum „Zentralen Zuführungspunkt“ gebracht und dort unter menschenunwürdigen Umständen festgehalten. In zermürbenden Einzelverhören nötigten Sicherheitskräfte die Internierten zur Unterschrift fingierter Geständnisse. Erst im Laufe der Nacht kamen einige Personen frei, während andere in die MfS-Untersuchungshaftanstalt „Roter Ochse“ überstellt wurden. Unter dem Eindruck der Willkür und der massiven Gewaltanwendung durch den Sicherheitsapparat gründete sich in einer Solidaritätsaktion auf dem Gelände der halleschen Georgenkirche eine Mahnwache. Es wurde ein Kontakttelefon eingerichtet: Zur Koordinierung mit anderen Bürgerbewegungen im Land, aber vor allem für kurzfristige Hinweise und Anfragen. So melden sich auch bald darauf Betroffene und berichteten von ihren Erlebnissen. Die festgehaltenen Gedächtnisprotokolle verdeutlichten das ganze Ausmaß der Gewalt. In der Pauluskirche trat darüber hinaus eine Bürgerversammlung mit der Forderung „Gewaltfreiheit für unsere Stadt“ zusammen. Auf Druck der Mahnwache nahm schließlich am 12. November 1989 – legitimiert durch einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung – eine unabhängige Bürgerkommission zur „Untersuchung von Willkür und Gewalt im Demokratisierungsprozess“ ihre Arbeit auf.

Inschriften

Inschrift der Gedenktafel
(am Landesamt für Umweltschutz Sachsen- Anhalt)
Ereignisse im Herbst 1989 // Auf diesem Gelände befand sich bis 1990 eine Schule der Trans- / portpolizei der DDR // „Zentraler Zuführungspunkt“ / Das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) hatte hier bereits 1968 / für den Fall von Widerstand gegen die DDR einen sogenannten / ‚Zentralen Zuführungspunkt‘ eingerichtet. Dort sollten Menschen / ohne Haftbefehl und außerhalb öffentlicher Wahrnehmung fest- / gesetzt und verhört werden. // Protestaktionen in Halle // Am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der Gründung der DDR, / und am Montag, dem 9. Oktober 1989 kam es wie in vielen Orten / auch in Halle zu vereinzelten Protestaktionen. // Festnahmen // Bei den folgenden gewaltsamen Räumungen des Marktplatzes / wurden Menschen auf LKW verladen und hierher zum ‚Zentralen / Zuführungspunkt‘ gebracht: am 7. Oktober 48 Menschen und am / 9. Oktober noch einmal 37 Personen. Unter ihnen waren nur wenige / Demonstranten, sondern mehrheitlich Erwachsene und Minder- / jährige, die sich zufällig auf dem Marktplatz aufgehalten hatten. / In offenen Garagen mussten sie – viele bis zum nächsten Morgen – / mit dem Gesicht zur Wand stehen. Es war ihnen verboten, sich / hinzusetzen oder zur Erwärmung zu bewegen. Verpflegung gab es / nicht. Wer sich beschwerte, musste zur Strafe die ‚Fliegerstellung‘ / einnehmen – sich mit gespreizten Armen und Beinen an die Wand / lehnen – oder vor dem Gebäude im Regen stehen. / In Einzelverhören legte man ihnen vorbereitete Geständnisse / über die ‚Teilnahme an einer illegalen Demonstration‘ zur / Unterzeichnung vor. Eine Rechtsbelehrung erfolgte nur in / Einzelfällen. Zu Entlassungen kam es erst in der Nacht und den frühen Morgenstunden. Mehrere Personen wurden aber auch in die / Stasi-Untersuchungshaftanstalt ROTER OCHSE überführt. // Ungesetzliches Vorgehen // Die politische Verantwortung lag bei der Sozialistischen Einheits- / partei Deutschlands (SED), deren erster Sekretär der Bezirksleitung / den Vorsitz der Einsatzleitung hatte. das Vorgehen von Volkspolizei, / Staatsicherheit und paramilitärischen Betriebskampfgruppen ver- / letzte sowohl DDR-Gesetze als auch von der DDR unterzeichnete / internationale Menschenrechtsabkommen.
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch

Ereignisse

Oktober 2019 - Einweihung
Enthüllung der Gedenktafel zur Erinnerung an die Ereignisse im Herbst 1989

Literatur

  • Wagner, Patrick (Hrsg.): Schritte zur Freiheit. Die friedliche Revolution 1989/90 in Halle an der Saale, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag, 2009

Publikationen der Bundesstiftung

  • Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns an die Friedliche Revolution, Berlin 2024
 
  • Kategorie: Gedenkort
  • Historisch: Ja
  • Standort: Reideburger Straße 47
  • Stadt: Halle (Saale)
  • Gebiet: Sachsen-Anhalt
  • Land: Deutschland