Querfurt, Deutschland

Gedenktafel „Gegen das Vergessen“

 
Das am 29. April 1977 verabschiedete „Querfurter Papier“ war ein politisches Manifest, das unter der Überschrift „Frieden und Gerechtigkeit heute“ zunächst an Mitarbeiter der evangelischen und katholischen Kirche in Querfurt gerichtet war. Es entstand in engem Zusammenhang mit dem KSZE-Prozess und weist Analogien zur „Charta 77“ in der damaligen Tschechoslowakei auf. Das Papier wurde von evangelischen und katholischen Christen um den Priester Dieter Tautz verfasst und vorwiegend von der Naumburger Menschenrechtsgruppe um den Theologen Lothar Tautz im Rahmen einer Unterschriftensammlung verbreitet. Diese Gruppe hatte bereits im Frühjahr 1977 eine Dokumentation zur Ausbürgerung von Wolf Biermann, zur Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz in Zeitz und zum Wirken des verfolgten und in den Westen abgeschobenen Vikars Günter Schau unter dem Titel „Kirche zwischen Opportunismus und Opposition“ als Samisdat veröffentlicht. Das „Querfurter Papier“ erinnert unter Berufung auf den christlichen Versöhnungsauftrag an das Recht der Kirche zur politischen Einrede. Es warnte vor der Anpassung der Kirchen, ihrer „Fremdbestimmung“ und vor dem „bequemen Schweigen“. Im ersten Teil wird festgestellt, dass wahrer Frieden nur erreicht werden könne, wenn statt „Klassenkampf“ und „Abgrenzung“ „Brücken der Verständigung“ errichtet würden. Der zweite Teil bennent die Spannung zwischen „gesellschaftlicher Vielfalt“ und der „Einheitsgesellschaft“ der DDR, die zugunsten der „Würde des Eigenwertes des einzelnen“ aufgelockert werden müsse: „Nur wo die Pluralität beachtet wird, werden Menschen gern Bürger ihres Staates sein.“ Zu Ausreiseverboten wird erklärt: „Nur wer frei ist zu gehen, wird freiwillig gern bleiben.“ Weiter heißt es: „Die Menschen haben ein allseitiges Informationsrecht“, denn „nur wo offene Kritik keine Repressalien befürchten muss, wird gesellschaftliches Engagement sinnvoll.“ Alle Menschenrechte, auch theologisch begründeten, so das Papier, seien überdies in der Schlussakte von Helsinki verankert. Der dritte Teil thematisierte die internationale Zusammenarbeit: „Die Aufgaben des zukünftigen Überlebens verlangen, dass wir willig sind, schon morgen mit dem Gegner von heute zusammenzuarbeiten.“ Es sei gefährlich, „wenn einer dem anderen sein System aufzwingen“ wolle. Als unmittelbare Reaktion stellte das MfS zunächst die „Gesellschaftsgefährlichkeit“ des Papiers fest, leitete dann im Rahmen des Zentralen Operativen Vorgangs „Korinther“ Zersetzungsmaßnahmen gegen die Initiatoren ein und versuchte dabei, auch die Kirchenleitungen zu gewinnen. Am 27. April 2002 wurde im Rahmen der Tagung „Frieden und Gerechtigkeit heute – 25 Jahre Querfurter Papier“ im Zusammenhang mit der Vorstellung des Projekts „Orte der Zivilcourage“ eine Gedenktafel an der katholischen Kirche in Querfurt enthüllt. Das Projekt „Orte der Zivilcourage“ will Menschen und Ereignisse bekannt machen, die in besonderer Weise einen Beitrag dazu leisteten, in der SBZ/DDR Demokratie und Menschenrechte durchzusetzen. Träger sind der Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V., die Landeszentrale für politische Bildung und die Behörde der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt.

Inschriften

Inschrift der Gedenktafel
(an der katholischen Kirche)
Gegen das Vergessen // Ort der Zivilcourage // ‚Querfurter Papier‘// Im Pfarrhaus der Erlöserkirche unterzeichneten / evangelische und katholische Christen / am 29. April 1977 ein von ihnen erarbeitetes / politisches Manifest, das ‚Querfurter Papier‘./ Mit der Aufforderung zu ‚Frieden und / Gerechtigkeit heute‘ gab dieses Schriftstück / demokratisch engagierten Menschen in der / DDR neue Orientierung und Mut zum / selbstbestimmten Handeln. / In Verbindung mit der ‚Charta 77‘ wirkten seine / Thesen bis in die Gründungsdokumente der / oppositionellen Gruppen in den 80er Jahren fort.
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch

Literatur

  • Tautz, Lothar: Frieden und Gerechtigkeit heute. Das Querfurter Papier – ein politisches Manifest für die Einhaltung der Menschenrechte in der DDR aus dem Jahr 1977, Magdeburg 2002
  • Tautz, Lothar/Radeke, Christian: „Warte nicht auf bessere Zeiten ...“ Oskar Brüsewitz, Wolf Biermann und die Protestbewegung in der DDR 1975–1977, Halle 1999

Publikationen der Bundesstiftung

  • Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016