Berlin, Deutschland
Gedenktafel für Erich Nehlhans
Der Berliner Erich Nehlhans (1899–1950) überlebte als Jude den Holocaust und wurde nach Kriegsende Mitbegründer der Jüdischen Gemeinde in Berlin und deren erster Vorsitzender. Der aus einer streng religiösen Familie stammende Kaufmann hatte im Zweiten Weltkrieg auch dank der Hilfe nichtjüdischer Berliner in der Illegalität überlebt, während seine Frau nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. In seiner neuen Funktion erreichte er im sowjetischen Sektor Berlins u. a. die Wiedereröffnung der unzerstört gebliebenen Synagoge in der Rykestraße im Stadtteil Prenzlauer Berg und des Jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee.
Ernsthafte Schwierigkeiten erwuchsen ihm aus seinem Engagement für die Auswanderung jüdischer Überlebender nach Palästina und in die USA. Er kümmerte sich um „displaced persons“, Überlebende aus Konzentrationslagern, die im zerrissenen Europa nach dem Potsdamer Abkommen keine Heimat mehr hatten. Innerhalb der Gemeinde vertrat Nehlhans die damals vorherrschende Auffassung, dass jüdisches Leben in Deutschland nach der Shoah nicht mehr möglich sei. Er war Berliner Vorsitzender der religiös-zionistischen Vereinigung Misrachi, die sich für die Übersiedlung nach Palästina und den Aufbau eines jüdischen Staates einsetzte. In dem für Übersiedlungsangelegenheiten genutzten Büro im britischen Sektor Berlins soll Nehlhans auch jüdischen Deserteuren aus der Roten Armee mit Zivilkleidung und Papieren geholfen haben, ein neues Leben zu beginnen.
Seine Verhaftung durch die sowjetische Geheimdpolizei NKWD erfolgte am 7. März 1948. Erich Nehlhans wurde zunächst ins Kellergefängnis in der Prenzlauer Allee gebracht. Im August verurteilte ihn ein SMT zu 25 Jahren Arbeitslager. Vorgeworfen wurde ihm „antisowjetische Agitation“ und Unterstützung der Desertion von sowjetischen Soldaten jüdischen Glaubens. Ein weiterer Anklagepunkt war die Beihilfe zur illegalen Verschickung jüdischer Bürger aus Polen und der Tschechoslowakei über amerikanische Lager in Berlin nach Palästina und Amerika. Nach der Urteilsverkündung wurde Nehlhans in das sowjetische Speziallager Sachsenhausen gebracht, bevor man ihn zwei Monate später nach Brest-Litowsk transportierte. Er verstarb in sowjetischer Haft am 15. Februar 1950. Das Urteil von 1948 hob ein russisches Militärgericht 1997 auf Antrag seiner Angehörigen auf und rehabilitierte Erich Nehlhans ohne Einschränkungen.
Am ehemaligen Wohnhaus von Erich Nehlhans in der Prenzlauer Allee 35 wurde am 1. März 2001 nach einem Beschluss des Bezirksamtes Pankow ein „Denkzeichen im öffentlichen Raum“ für den ersten Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin nach Ende des Zweiten Weltkrieges eingeweiht. An der feierlichen Einweihung nahmen der Bezirksbürgermeister von Pankow, Alex Lubawinski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Dr. Andreas Nachama, und Dr. Werner Rosenthal, ein Großneffe von Erich Nehlhans, teil. Seit dem Jahr 2001 trägt zu Ehren Erich Nehlhans auch eine Straße in Pankow seinen Namen. Im März 2003 wurde die Gedenktafel gestohlen. Im Juli 2004 wurde eine neue, inhaltlich nach neuen Forschungsergebnissen aktualisierte, Erinnerungstafel angebracht.
Inschriften
Inschrift der Gedenktafel
(an der Fassade des ehemaligen Wohnhauses von Erich Nehlhans)
In diesem Hause / wohnte bis zu seiner Verhaftung im März 1948 / Erich Nehlhans / geboren in Berlin am 12. 2. 1899 / gestorben am 15. 2. 1950 /
Erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin / nach dem Ende des Hitlerregimes. / Er überlebte untergetaucht in Berlin / die antisemitische Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. / In der Nachkriegszeit war er in Berlin / maßgeblich am Wiederaufbau jüdischen Lebens beteiligt / und verhalf zahlreichen Überlebenden der Vernichtungslager / und jüdischen Angehörigen der Roten Armee / zu einem Neubeginn in Palästina und den USA. / Am 4. August 1948 verurteilte ihn ein sowjetisches Militärgericht / dafür zu 25 Jahren Arbeitslager. / Er verstarb in der Haft in der Sowjetunion. / Am 24. September 1997 hob ein russisches Militärgericht / nach langjährigen Bemühungen der Angehörigen / das Urteil gegen Erich Nehlhans auf und rehabilitierte ihn vollständig.
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Ereignisse
Juli 2004 - Einweihung
Einweihung der Gedenktafel für Erich Nehlhans
Literatur
- Förster, Andreas: Es blieb ihm keine Zeit mehr für die Flucht, in: Berliner Zeitung, 20.3.1998
- Leo, Annette: Erich Nehlhans. Annäherung an eine vergessene Lebensgeschichte, hrsg. vom Kulturamt/Prenzlauer Berg Museum/Aktives Museum, Berlin 2001
- Offenberg, Ulrike: Seid vorsichtig gegen die Machthaber. Die jüdischen Gemeinden in der SBZ und der DDR 1945 bis 1990, Berlin 1998
- Rosenthal, Werner: Verschollen, in: Jüdisches Berlin, 2000, H. 12
- Fricke, Karl Wilhelm/Steinbach, Peter/Tuchel, Johannes (Hrsg.): Opposition und Widerstand in der DDR. Politische Lebensbilder, München 2002
Publikationen der Bundesstiftung
- Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016
- Kategorie: Gedenkort
- Historisch: Ja
- Standort: Prenzlauer Allee 35
- Stadt: Berlin
- Ortsteil: Pankow
- Gebiet: Berlin
- Land: Deutschland