Die Ereignisse an der Friedrich-Schiller-Schule in Bautzen Ende der 1940er Jahre sind ein Beispiel für widerständiges Verhalten und daraus folgende Repressionen gegen Schüler und Lehrer in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR. 1948 waren mehrere Oberschulen und ein Gymnasium zur Friedrich-Schiller-Schule zusammengelegt worden. Sogleich begann die ideologische Ausrichtung auf den sowjetischen Sozialismus, die mit repressiven Maßnahmen durchgesetzt wurde. Wer aus Sicht der SED nicht die „richtige Gesinnung“ hatte, musste beispielsweise damit rechnen, nicht zum Abitur zugelassen zu werden. In der Schülerschaft entwickelte sich zunehmend Widerspruch gegen die Indoktrinierung. Selbsthergestellte Flugblätter, Klebezettel oder aus West-Berlin eingeschmuggelte Handzettel tauchten in der Schule auf. Immer wieder und in verschiedenen Formen war der Buchstabe „F“ in der Schule zu finden, das Symbol für Freiheit und freie Wahlen. Schulleitung und Funktionäre der FDJ versuchten, diese Aktionen zu unterbinden, indem sie Lehrer und Schüler bestraften. Im Februar 1950 attackierte der Kreisvorstand der FDJ die Lehrerin Elisabeth Leidholdt, weil sie die frühe politische Einbindung der Jugendlichen durch die Partei kritisiert hatte, mit der Begründung, die Schüler würden dadurch den Unterricht vernachlässigen. Am 16. Februar 1950 fand in der Stadthalle „Krone“ eine Veranstaltung mit den Schülern der Bautzener Oberschulen und den FDJ-Gruppen aus den Betrieben statt. Hier wurden die „reaktionären Umtriebe“ an der Friedrich-Schiller-Schule gegeißelt und insbesondere die Lehrerin Leidhardt mit ihren „reaktionären Lehrmethoden und Äußerungen“ angegriffen. Sie wurde als „Volksschädling“ und „Verderberin der Jugend“ beschimpft. Noch während der Veranstaltung wurde von der Schulkonferenz einstimmig beschlossen, Leidhardt zu entlassen. Auch ein Schüler wurde wegen „Wühlarbeit gegen die demokratischen Kräfte unseres Staates“ von der Schule ausgeschlossen. Das Tribunal in der „Krone“ diente vor allem der Disziplinierung von Lehrern und Schülern, die nicht auf Parteilinie waren. Dennoch gingen die Widerstandsaktionen weiter, offene Diskussionen mussten fortan jedoch unterbleiben.
Für den 8. Juli 1950 war in Bautzen das „1. Sorbentreffen“ geplant. Auch DDR-Präsident Wilhelm Pieck hatte sein Erscheinen angekündigt. Für die Großkundgebung wurden an der Friedrich-Schiller-Oberschule Transparente mit Propaganda-Losungen angebracht. Am Eingangsportal wurde ein überlebensgroßes Pieck-Bild aufgehängt, das in der Nacht vor der Großveranstaltung verbrannt wurde. Schüler drangen zudem in den Keller der Schule ein und zerstörten die anderen Transparente. Flugblätter wurden verteilt und der Buchstabe „F“ an die Wände gemalt. Damit wollten die Schüler ein Zeichen gegen Diktatur, Willkür und Unterdrückung setzten.
Einer der Lehrer, Bruno Sulla, wusste von der Verbrennung des Pieck-Bildes. Er war SED-Mitglied, doch galt er bei den Schülern als Gegner des Regimes. Er unterstützte die Aktionen der Schüler und warnte sie vor den drohenden Verhaftungen, worauf einige in den Westen flüchteten. Auch in seiner Funktion als Parteisekretär setzte er sich gegen die stalinistischen Methoden in der Schule ein. Dies blieb allerdings nicht ohne Folgen. Am 14. Oktober 1950, dem Tag vor den Volkskammerwahlen in der DDR, wurde Sullas Ehefrau verhaftet. Ihr wurde vorgeworfen, auf ein SED-Wahlplakat einen „Hetzzettel“ geklebt zu haben. Bruno Sulla wurde am selben Tag wegen des Verdachts der „Vorbereitung von Hetzschriften“ festgenommen. Unter bisher ungeklärten Umständen starb der 32-jährige Bruno Sulla wenige Tage später am 17. Oktober in der Haftanstalt Bautzen II.
Erst 1952 kam es zu einem Gerichtsverfahren gegen die verdächtigten Schüler. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte dafür aus den Lehrer- und Schüler-Widerstandsaktionen einen professionellen Spionagering konstruiert, der Teil einer großen, vom Westen unterstützten Untergrundorganisation gewesen sein sollte. Drei der Schüler erhielten Zuchthausstrafen von bis zu drei Jahren.
Um diese Opfer des Widerstands zu ehren, ergriffen Abiturienten der Jahrgänge 1950 und 1951 die Initiative und veranstalteten am 8. Oktober 2004 zusammen mit den Lehrern und Schülern des Schiller-Gymnasiums eine Feierstunde, in der auch eine Gedenktafel eingeweiht wurde.
Inschriften
Inschrift der Gedenktafel
(am Schiller-Gymnasium)
Zum Gedenken an die Opfer des Widerstandes / gegen politische Unterdrückung und Willkür 1948–1950 / an der Friedrich-Schiller-Schule Bautzen // Unseren Lehrern / Stud.-Rätin Elisabeth Leidholdt / 25.01.1892–16.12.1975 / Bruno Sulla / 17.03.1918–17.10.1950 // Gewidmet von Schülerinnen und Schülern der / Abiturjahrgänge 1950 und 1951
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Ereignisse
8. Oktober 2004 - Einweihung
Einweihung der Gedenktafel für den Lehrer- und Schülerwiderstand
Publikationen der Bundesstiftung
- Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016
Weitere Informationen
- Prof. Dr. Eberhard Ludwig: „Bruno Sulla – Versuch einer Würdigung“ (Manuskript)
- Informationen des Schiller-Gymnasiums Bautzen
- Günter Kießling: „Gleichschaltung und Widerstand an der Friedrich-Schiller-Schule 1945 bis 1950“ (Manuskript),
- Günter Kießling: „Lehrer- und Schülerwiderstand an der Friedrich-Schiller-Schule 1945-1950“ (Manuskript),