Suhl, Deutschland
Gedenktafel „Der ‚Sturm‘ auf die ‚Burg‘ am 4. / 5. Dezember 1989“
Seit dem 16. November 2021 erinnern am Gebäudekomplex der Hölderlinstraße 1 zwei Gedenktafeln an die Friedliche Revolution in Suhl sowie die gewaltlose Besetzung der einst an diesem Ort ansässigen ehemaligen Bezirksverwaltung der Staatssicherheit des Bezirkes Suhl. Die Initiative zur Erstellung der Tafeln ging vom Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Dr. Peter Wurschi, sowie vom ehemaligen Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Roland Jahn, und der Stadt Suhl, vertreten durch den Oberbürgermeister André Knapp aus. Mit der Anbringung der beiden Gedenktafeln soll zum einen der Erinnerungsort Hölderlinstraße markiert und zugleich die Geschichte der Friedlichen Revolution 1989 sowie der an den Ereignissen beteiligten Akteure gewürdigt werden. An der Enthüllung der Gedenktafeln nahmen neben dem Thüringer Landesbeauftragten, Dr. Peter Wurschi, und dem Oberbürgermeister Suhls, André Knapp, auch der Präsident sowie die Vizepräsidentin des Bundesarchives, Prof. Dr. Michael Hollmann und Alexandra Titze, teil.
Inschriften
Inschrift der Gedenktafel
(am Behördenzentrum)
Der „Sturm“ auf die „Burg“ am 4./5. Dezember 1989 // I. In den frühen Dezembertagen des Jahres 1989 setzte sich der Wage- / mut Einzelner und die Courage der Zivilgesellschaft durch: Die Verwaltung / des Ministeriums für Staatssicherheit im Bezirk Suhl wurde von Bürgerinnen / und Bürgern besetzt und die Vernichtung der Stasi-Akten in der Stasi-Zent- / rale gestoppt. Die „Stasi-Burg“ wurde in der folgenden Zeit zu einem / Zentrum der Aufarbeitung der SED-Diktatur in Südthüringen. // II. Der „Sturm“ auf die „Burg“ am 4. Dezember 1989 war einer der / gefährlichsten Momente der Friedlichen Revolution in Suhl. Bereits am / Mittag war bekannt geworden, dass die Staatssicherheit in Erfurt Akten / vernichtet. Mitglieder der Bürgerbewegung Neues Forum, die mittlerweile / viele gelungene basisdemokratische Aktionen in Suhl und in Südthürin- / gen organisiert hatten, wollten daraufhin wissen, ob auch in Suhl Akten / vernichtet würden und forderten Zutritt zum Gelände der Staatssicherheit / auf dem Hügel über der Stadt. Aber der Leiter der Staatssicherheit im / Bezirk lehnte ihre Forderung ab. Gleichzeitig hatten sich über dreitausend / Bürgerinnen und Bürger zu einer Diskussionsveranstaltung des Neuen / Forum in der Suhler Stadthalle versammelt. Als ihnen die Verweigerung / des Stasi-Chefs mitgeteilt wurde, brach Tumult aus. Die Menge forderte / die gewaltsame Besetzung der Stasi und bewegte sich mit dem Ruf / „Schließt Euch an!“ durch die Suhler Innenstadt zur „Stasi-Burg“. // III. Der Demonstrationszug mit etwa 3.000 Menschen stoppte am Haupteingangstor / der Staatsicherheit. Die Bürgerinnen und Bürger skandierten lautstark gegen die / Machenschaften der DDR-Geheimpolizei und gegen due Gängelung durch das SED-Regime und verlangten ein Ende der Aktenvernichtung. Einige riefen auch / „Hängt sie auf“. Es folgten dramatische Stunden, in der die Stimmung auf beiden / Seiten zu eskalieren drohte. Weitere Verhandlungen zwischen den Bürgerrechtlern / und der Stasi-Leitung zogen sich hin. Erst als der Bezirksstaatsanwalt gegen 23.30 / Uhr eintraf, gab der Stasi-Chef im Bezirk Generalmajor Gerhard Lange nach und / stimmte dem Kontrollgang zu: Eine kleine Gruppe von 15 Leuten wurde in die / Stasi-Zentrale eingelassen; der Bezirksstaatsanwalt nahm die ersten Versiegelungen / von Räumen vor. Gegen halt zwei Uhr morgens wurde der Rundgang beendet. // IV. In der Nacht wurden dennoch weiter / Akten vernichtet und abgefahren. Erst als / mutige Suhler Busfahrer am 5. Dezember / 1989 gegen Mittag die Ausfahrten der / „Burg“ mit ihren Bussen blockierten, / konnte der heimliche Abtransport der / Akten unterbunden werden. // V. Viele Bürgerinnen und Bürger strömten am Nachmittag / des 5. Dezember 1989 auf das Gelände der Stasi und „er- / oberten“ den für sie erstmals unzugänglichen Raum. Im / Laufe des Tages konstituierte sich eine Bürgerwache, die / rund um die Uhr die Gebäude der Staatssicherheit, die ver- / siegelten Räume und die Stasi-Akten bewachte. / Am 5. Dezember 1989 war die Staatssicherheit in Suhl / nicht mehr handlungsfähig. / VI. Am 6. Dezember konstituierte sich beim Bezirkstag Suhl eine Kommission zur Untersuchung von Amtsmissbrauch und Korruption, / in der auch Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerbewegung / beteiligt waren. In der ersten Sitzung der Kommission wurde das / Aktiv Staatssicherheit gegründet. Das Aktiv Staatssicherheit über- / nahm mit der Bürgerwache die Sicherung der Akten auf der / „Burg“ und in den folgenden Wochen die Kontrolle und Auflö- / sung der Bezirksverwaltung und der Kreisdienststelle des Mi- / nisteriums für Staatssicherheit in Bezirk Suhl. Aus dem Aktiv / Staatssicherheit bildete sich am 2. Oktober 1990 das Bürgerkomi- / tee des Landes Thüringen e.V. heraus.
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Ereignisse
November 2021 - Einweihung
Enthüllung der Gedenktafel „Der ‚Sturm‘ auf die ‚Burg‘ am 4. / 5. Dezember 1989“
Publikationen der Bundesstiftung
- Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns an die Friedliche Revolution, Berlin 2024
- Kategorie: Gedenkort
- Historisch: Ja
- Standort: Behördenzentrum Suhl, Hölderlinstraße 1
- Stadt: Suhl
- Gebiet: Thüringen
- Land: Deutschland
