Mühlberg, Deutschland

Gedenkstätte Speziallager Nr. 1 des NKWD/MWD

 
Die Geschichte des Lagers Mühlberg begann im Spätsommer 1939. Das etwa 30 Hektar große Areal war zuvor als Schieß- und Exerziergelände genutzt worden. Ab September wurde hier mit der Errichtung eines Kriegsgefangenenlagers (Stalag IV B) begonnen. Der Aufbau des Lagers erfolgte bis zum Sommer 1940 durch den damaligen Arbeitsdienst sowie polnische und französische Kriegsgefangene. Nach Abschluss der Bauarbeiten sollte das Lager bis zu 10 000 Insassen aufnehmen. Zunächst wurden westeuropäische Kriegsgefangene in Mühlberg untergebracht. Mit dem Krieg im Osten wuchs die Zahl der sowjetischen Kriegsgefangenen jedoch rasant an. Ab 1943 gehörte auch das Kriegsgefangenenlager Stalag 304 im nahegelegenen Zeithain organisatorisch zum Stalag IV B. Im Stalag 304 waren vor allem sowjetische, aber auch italienische Kriegsgefangene untergebracht. Im Herbst 1944 kamen nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes auch Frauen und Männer der polnischen Armia Krajowa („Heimatarmee“) als Kriegsgefangene nach Mühlberg und Zeithain. Am 23. April 1945 befreiten Einheiten der 1. Ukrainischen Front die beiden Kriegsgefangenenlager. Während Angehörige der westlichen Armeen nach und nach über den sowjetisch-amerikanischen Austauschpunkt Torgau entlassen wurden, unterzog die sowjetische Geheimpolizei NKWD die sowjetischen Kriegsgefangenen einer eingehenden Überprüfung. Der größte Teil dieser Gefangenen wurde als „Verräter“ oder „Volksfeinde“ verurteilt und in sowjetische Straflager deportiert bzw. zum Dienst in Strafeinheiten versetzt. Im Sommer 1945 sammelten Dienstgruppen des NKWD in Mühlberg/Zeithain zudem zurückkehrende sowjetische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, sowjetische Kriegsgefangene aus Lagern, die von den Westalliierten befreit worden waren, sowie Angehörige der Wlassow-Armee, die auf der Seite Deutschlands gekämpft hatten. Auch Überlebende des KZ Bergen-Belsen wurden im Sommer 1945 zeitweilig im ehemaligen Kriegsgefangenenlager festgehalten. Ein großer Teil von ihnen starb, da im Lager Zeithain monatelang Typhus grassierte. Die Geschichte des Speziallagers Nr. 1 Mühlberg/ Elbe begann im September 1945. Bis September 1948 waren hier deutsche Zivilgefangene – darunter kleinere und mittlere Funktionäre der NSDAP, aber auch willkürlich Verhaftete – die ohne Haftbefehl und oftmals aufgrund von Denunziationen festgenommen wurden, inhaftiert. Für alle wurde das Lager zum Ort des Schreckens: In Verbindung mit Hunger und Kälte, einer menschenunwürdigen Unterbringung, katastrophalen hygienischen Bedingungen, einer mangelhaften medizinischen Betreuung und durch die völlige Isolierung von der Außenwelt starben viele Häftlinge. Von den insgesamt 22 000 Häftlingen starben zwischen 1945 und 1948 etwa 6 800 Gefangene im Speziallager Nr. 1. Die Toten wurden anonym auf einem Gräberfeld nördlich des Lagers („Alte Schanze“) in Massengräbern begraben. Aus dem Speziallager Nr. 1 wurden 1946/47 mehr als 3 000 arbeitsfähige Männer und Jugendliche in die Sowjetunion deportiert. Darüber hinaus wurden sogenannte Spezialisten – Naturwissenschaftler, Ingenieure oder Techniker mit Spezialkenntnissen – „herausgefiltert“ und in die Sowjetunion gebracht. Letztere erfuhren zwar eine gute Behandlung und wurden sogar für ihre Tätigkeit bezahlt, aber sie mussten zum Teil bis weit in die 1950er Jahre hinein in verschiedenen Bereichen der sowjetischen Rüstungsforschung arbeiten. Das Speziallager Nr. 1 wurde im September 1948 aufgelöst. Die nicht entlassenen 3 611 Häftlinge wurden in das Speziallager Nr. 2 in Buchenwald gebracht. Für viele folgten nach der Übergabe an die DDR-Strafjustizorgane im Februar 1950 weitere Haftjahre. Eine große Zahl von ihnen starb an den Haftfolgen oder aufgrund der schlechten Bedingungen in den DDR-Gefängnissen. Nach 1948 sollte das Lager Mühlberg aus der Erinnerung verschwinden und der anonyme Friedhof in Vergessenheit geraten. Die Steinbauten wurden gesprengt und das Areal gezielt bepflanzt und planiert. Überreste wurden dem Wildwuchs überlassen. Dass die Geschichte dieses Lagers nicht in der Vergessenheit geriet, ist dem Einsatz und den vielfältigen Aktivitäten der Initiativgruppe Lager Mühlberg e. V. zu verdanken, die 1990 in Mühlberg/ Elbe von ehemaligen Häftlingen und Angehörigen der im Lager Verstorbenen gegründet wurde. Mit Unterstützung des Landes und vieler freiwilliger Helfer wurde eine Gedenkstätte errichtet, in der ein großes Gedenkkreuz in abgestufter Palisadeneinfassung sowie viele Einzelkreuze und Gedenksteine an das begangene Unrecht erinnern. Bei den im Juli 2004 begonnenen Aushubarbeiten für die Errichtung eines neuen Hochkreuzes wurden menschliche Knochenteile entdeckt. Diese sterblichen Überreste von 24 unbekannten Toten wurden am 11. August 2004 schließlich zusammen mit der Errichtung des neuen Hochkreuzes während einer Trauerfeier beigesetzt. Auch beim Ausheben der neuen Grabstelle wurden weitere Knochen gefunden. Bronzetafeln mit den Namen von 6 766 Todesopfern des sowjetischen Speziallagers wurden 2008 eingeweiht. Seit 2012 können sich Besucher anhand von 18 Glasstelen auf dem Lagergelände über die Geschichte des NS-Lagers und des Speziallagers informieren. Seit 1990 werden jedes Jahr Anfang September Gedenkveranstaltungen durchgeführt. Höhepunkte sind dabei die Kranzniederlegungen auf dem Kriegsgefangenenfriedhof in Neuburxdorf und an der zentralen Gedenkstätte am Rande des ehemaligen Lagergeländes. Ökumenische Gottesdienste, Begegnungen mit ehemaligen Gefangenen und Angehörigen sowie Informationsveranstaltungen verschiedener Art sind feste Bestandteile dieser Gedenktreffen. Darüber hinaus werden Führungen, Vorträge, Lesungen, Filmveranstaltungen, Zeitzeugengesprächen sowie eine pädagogische Betreuung angeboten. Das Stadtmuseum Mühlberg verfügt über eine Bibliothek, ein Archiv und eine Sammlung. Nach einer konzeptionellen Überarbeitung widmet sich das Museum seit April 2015 in einem Teil seiner neuen Dauerausstellung der Geschichte des Kriegsgefangenenlagers STALAG IV-B und dem Speziallager Nr. 1. Darin werden u. a. zwölf filmisch erfasste Zeitzeugeninterviews ehemaliger Lagerinsassen gezeigt. Gesprächstranskripte, biographische Daten sowie vier thematische Kurzfilme ergänzen das Ausstellungsangebot. Dieser Teil der Dauerausstellung konnte mit Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur realisiert werden.

Kontakt

Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V.
Neustädter Markt 1
04931 Mühlberg

Inschriften

Inschrift der Gedenktafel für eberhard Hoffmann
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
-IN MEMORIAM- / Eberhard Hoffmann / 1928 – 2023 / Hier inhaftiert von 1945–1948; / Gründungsvorstand und Ehrenvorsitzender / der Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V. / Mitinitiator der Gedenkstätte; / Unermüdlicher Förderer der Erinnerung / an die Toten zwischen / 1939–1945 und 1945–1948 / In Dankbarkeit gewidmet von der Initiativgruppe Mühlberg e.V.
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift einer Gedenktafel
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
Den über 6 000 Toten des / Speziallagers Nr. 1 des / NKWD/MWD Mühlberg/Elbe / sowie all denen, die von / hier deportiert wurden / und starben / zum Gedenken / den Lebenden zur Mahnung
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift einer Gedenktafel
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
Zum Gedenken / an unsere toten / Kameraden / aus Reichenbach/V. / und / Umgebung
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Gedenkstein zur Erläuterung der Namenstafeln
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
Hier befinden sich Massengräber mit Toten des Speziallagers Nr. 1, Mühlberg/Elbe. / Das sowjetische NKWD/MWD inhaftierte hier zwischen 1945 und 1948 Menschen, die / als NS-Täter oder Gegner der stalinistischen Besatzungsherrschaft angesehen / wurden. // Eine rechtsstaatliche Feststellung von Unschuld oder Schuld erfolgte nicht. / Vielmehr wurden Männer, Frauen und Jugendliche willkürlich verhaftet und / unter katastrophalen Lebensbedingungen festgehalten. // Von etwa 21.800 Insassen starben infolge der schrecklichen Zustände im Lager / nachweislich über 6.700 an Hunger und Krankheiten. // Die Toten brachte man im Morgengrauen aus dem Lager und warf sie nackt / und anonym, ohne Beerdigungszeremonie, in die Gruben. // Angehörige erhielten über das Schicksal der Opfer keine oder falsche Nachrichten. // In der SBZ/DDR wurde die Existenz von Speziallagern offiziell beschwiegen. / Blumen, die Angehörige hier niederlegten, wurden durch ostdeutsche Behörden sofort / entfernt. // Erst nach 1989/90 war es den Angehörigen möglich, Kreuze aufzustellen oder / Gedenksteine zu errichten. Die Öffnung sowjetischer Archive bot die Chance, den / meisten Toten ihren Namen und damit ein Stück Würde zurück zu geben. // Das Hochkreuz ist ein Zeichen für das Leiden und das Sterben der Menschen an / diesem Ort und in anderen Speziallagern des NKWD/MWD sowie der von hier / Deportierten. // Die Sichtachse des Kreuzes weit nordöstlich in Richtung des Kriegs- / gefangenenfriedhofs Neuburxdorf. Dort ruhen Gebeine von Toten des / Kriegsgefangenenlagers Stammlager IVB. Es existierte von 1939 bis 1945 / auf den Gebiet des späteren Speziallagers Nr. 1 Mühlberg/Elbe. // Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V. / Stadt Bad Liebenwerda // 4. September 2010
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Inschrift einer Gedenktafel
(auf dem Gelände der Gedenkstätte)
Hier ruhen die sterblichen Überreste von 24 der ca. 6800 Toten / des Speziallagers Nr. 1 des NKWD, Mühlberg/Elbe. / Sie wurden bei den Erdarbeiten für das Fundament des neuen / Hochkreuzes in einem der vielen auf diesem Gelände vorhandenen / Massengräbern gefunden und am 11.8.2004 nach christlichem Brauch / und im Beisein ehemaliger Häftlinge und Angehöriger beigesetzt. / Sie ruhen hier im Frieden Gottes.
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch

Ereignisse

1945 bis 1948 - Historie
Speziallager Nr. 1 des NKWD/MWD
1939 bis 1945 - Historie
Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht STALAG IVB

Literatur

  • Schuster, Elisabeth (Hrsg.): Reite Schritt, Schnitter Tod! Leben und Sterben im Speziallager Nr. 1 des NKWD Mühlberg/Elbe, Kassel 2004 (= Erzählen ist Erinnern, Bd. 34)
  • Mironenko, Sergej/Niethammer, Lutz/Plato, Alexander von (Hrsg.): Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950, Berlin 1998
  • Kilian, Achim: Einzuweisen zur völligen Isolierung. NKWD-Speziallager Mühlberg/Elbe 1945–1948, 3. Aufl., Leipzig 1992
  • Kilian, Achim: Mühlberg 1939–1948. Ein Gefangenenlager mitten in Deutschland, Köln 2001

Publikationen der Bundesstiftung

  • Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016

Weitere Informationen

  • Initiativgruppe Lager Mühlberg e. V., Rundbrief Nr. 34, Dezember 2004