Bautzen, Deutschland

Gedenkstätte Bautzen

 
Der Name der ostsächsischen Stadt ist im öffentlichen Bewusstsein mit politischer Verfolgung und Inhaftierung im 20. Jahrhundert verbunden. „Ab nach Bautzen“ hieß es im Volksmund während der SED-Herrschaft, um deutlich zu machen, dass dieser Ort vor allem mit politischer Haft assoziiert wurde. Im Westen wie im Osten Deutschlands stehen „Gelbes Elend“ und „Stasi-Knast“ stellvertretend für das politische Unrecht während der sowjetischen Besatzungszeit und der SED-Diktatur zwischen 1945 und 1989. Bautzen umfasst als Gefängnisstandort die unter dem Namen „Gelbes Elend“ bekannt gewordene Strafvollzugsanstalt Bautzen I und das Gefängnis Bautzen II, das als „Stasi-Gefängnis“ traurige Berühmtheit erlangte. Bautzen I wurde Anfang des 20. Jahrhunderts aus gelben Klinkern am Rand der Stadt errichtet. Fast zeitgleich entstand in unmittelbarer Nähe zum Landgericht Bautzen das Gefängnis Bautzen II. Die 134 Zellen dienten als Untersuchungshaftanstalt sowie zur Verbüßung kurzer Haftstrafen. Mit der Einweihung beider Gefängnisse sollten die reformerischen Ideen eines modernen humanen Strafvollzugs umgesetzt werden. Nach dem Beginn der Nazi-Herrschaft wurden viele Reformen der Vorjahre rückgängig gemacht. Für die Durchsetzung der nationalsozialistischen Diktatur waren die Gefängnisse im Deutschen Reich von großer Bedeutung. Auch die Bautzener Gefängnisse dienten dem Justizterror der Nationalsozialisten. Als „Straf-, Untersuchungs- und Jugendgefängnis“ wurden beide Gefängnisse ab Mai 1933 durchgängig von einem Gefängnisdirektor, Dr. Rudolph Plischke, geführt. In beiden Gefängnissen waren neben kriminiellen Häftlingen vor allem Opfer der rassischen und religiösen Verfolgung sowie Kommunisten und Sozialdemokraten, Juden und Zeugen Jehovas eingesperrt. Während des Zweiten Weltkriegs kamen zu den politischen Gegnern innerhalb Nazi-Deutschlands („Rundfunkverbrecher“, „Kriegswirtschaftsverbrecher“, „Wehrkraftzersetzer“ usw.) Gefangene aus den von Deutschland besetzten Ländern: Tschechen, Polen, Belgier, Niederländer, Norweger, Franzosen. Es waren Männer und Frauen, die während des Krieges als Gefangene für die Rüstungswirtschaft arbeiten mussten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und mit der Besetzung Sachsens durch die Rote Armee errichtete die sowjetische Geheimpolizei NKWD 1945 auf dem Gelände des „Gelben Elends“ ein sogenanntes Speziallager. Ursprünglich sollte es als Internierungslager zur Isolierung von Funktionsträgern und Belasteten des nationalsozialistischen Regimes auf der Grundlage alliierter Beschlüsse dienen. Bald wurde das Speziallager Bautzen jedoch zu einem Ort, an dem bis 1956 zum größten Teil Opfer von Willkür und Denunziationen sowie politische Gegner des stalinistischen Systems inhaftiert wurden. Die menschenunwürdigen Haftbedingungen des Lagers kosteten über 3 000 Menschen das Leben. Von 1950 bis 1989 war Bautzen I eine der größten Strafvollzugseinrichtungen der DDR, in der bis zur Friedlichen Revolution im Herbst 1989 neben kriminellen vor allem politische Häftlinge gefangen gehalten wurden. Seit 1990 ist Bautzen I Justizvollzugsanstalt (JVA) des Freistaats Sachsen und wird bis heute weitergenutzt. Bautzen II war bis 1945 Untersuchungsgefängnis und diente in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch der sowjetischen Geheimpolizei NKWD als Untersuchungsgefängnis. Viele der hier Inhaftierten wurden von einem Sowjetischen Militärtribunal (SMT) verurteilt, das seinen Sitz im vormaligen Landgericht hatte. Die meisten dieser Urteile waren indes politisch motiviert. Die Anklagen waren häufig konstruiert und die Geständnisse durch Folter erpresst worden. Ein neues Kapitel begann 1956, als sich das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit dem hier eingerichteten „Sonderobjekt für Staatsfeinde“ seine einzige Haftanstalt schuf (Bautzen II war nie direkt dem MfS unterstellt, es hatte hier nur besondere Zugriffsrechte). Zwischen August 1956 und Ende 1989 wies die Geheimpolizei der DDR insgesamt rund 2 000 Männer und 400 Frauen zur Strafverbüßung ein. Neben Dissidenten waren hier DDR-Bürger und Ausländer – das heißt vor allem Bundesbürger – inhaftiert, die wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Spionage, Fluchthilfe oder „Republikflucht“ verurteilt worden waren. Aber auch aufgrund krimineller Vergehen verurteilte Armee- und MfS-Angehörige sowie SED- und Wirtschaftsfunktionäre gehörten zu den Inhaftierten. Alle Häftlinge der Sonderhaftanstalt standen im Fokus des MfS: Aus politischen Gründen sollten sie ihre Haft nicht in einer der regulären Vollzugsanstalten der DDR verbüßen. Obwohl in der Stadt gelegen, drang aus diesem „Haus des Schweigens“ kaum etwas nach außen. Viele Einwohner dachten, Bautzen II diene weiterhin als Untersuchungsgefängnis für das benachbarte Gericht. Erst mit dem Zusammenbruch des SED-Regimes konnten die politischen Häftlinge Bautzen II verlassen. Anfang 1992 wurde der ehemalige „Stasi-Knast“ Bautzen II als Gefängnis endgültig geschlossen und im darauffolgenden Jahr dank des Einsatzes des Bautzen-Komitees, einem Verband ehemaliger politischer Häftlinge, vom Freistaat Sachsen zur Gedenkstätte erklärt. Seit 1994 befindet sich die Gedenkstätte Bautzen unter dem Dach der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft. Seit 1998 fördern der Bund und der Freistaat Sachsen die Einrichtung. Die Gedenkstätte Bautzen befindet sich am Ort der ehemaligen Stasi-Sonderhaftanstalt Bautzen II. Trotz mehrerer Baumaßnahmen im Rahmen des Brandschutzes ist das Haus selbst größtenteils in dem baulichen Zustand der 1980er Jahre verblieben und wird von den Besuchern als „authentisch“ wahrgenommen. Das Gefängnis vermittelt konkrete Eindrücke der Haftbedingungen in der späten DDR. Neben Dauerausstellungen zu den einzelnen Verfolgungsperioden ist das ehemalige Gefängnis mit all seinen Haftbereichen, Arrestzellen („Tigerkäfige“), dem Isolationstrakt, den Fahrzeuggaragen und Gefangenentransportern, den Kellerarbeitsräumen und Freihöfen, dem alten Kinoraum usw. selbst das Hauptexponat. Nahezu alle Bereiche können von den Besuchern frei oder im Rahmen von Führungen besichtigt werden. Die historischen Orte des Gefängnisses werden durch Informationstafeln markiert und erklärt. Die Gedenkstätte bietet ihren Besuchern drei Dauerausstellungsbereiche: Im Einführungsraum sind chronologisch gegliedert Überblicksinformationen zur Vergangenheit beider Gefängnisse. Ein Ausstellungsbereich (bestehend aus zentralem Ausstellungsraum und einer Zelleninszenierung) dokumentiert die Geschichte des Bautzener Speziallagers zwischen 1945 und 1956, ein weiterer Raum die des „Stasi-Gefängnisses“ Bautzen II von 1956 bis 1989. Derzeit wird eine weitere Dauerausstellung zur Geschichte der Bautzener Gefängnisse und ihrer Gefangenen während des Nationalsozialismus erarbeitet. Biografiestelen in einzelnen Hafttrakten erschließen anhand exemplarischer Haftschicksale die Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft und zeigen, wie verschieden die Wege in das Gefängnis verliefen. Die Darstellung von Biografien hat in der Gedenkstätte Bautzen einen besonderen Stellenwert, da die Opfer ihr Schicksal angemessen gewürdigt sehen sollen. Als „offener Lernort“ bietet die Gedenkstätte Führungen und Projekte für Schüler- und Besuchergruppen an, deren Ablauf und Schwerpunkte sich nach den Interessen, zeitlichen Möglichkeiten und dem Vorwissen der Gruppen richten. Regelmäßig finden Zeitzeugenführungen und -gespräche statt. Neben diesen Angeboten werden die Geschichte beider Haftanstalten und das Schicksal der Inhaftierten auf vielfältige Weise vermittelt: mit Konzerten, Lesungen und Vorträgen, Tanz- und Theateraufführungen, Filmvorführungen, Sonderausstellungen, Podiumsdiskussionen und Gedenkveranstaltungen.

Verwandte Gedenkorte

Kontakt

Gedenkstätte Bautzen
Postfach 1928
02609 Bautzen

Literatur

  • Fricke, Karl Wilhelm/Klewin, Silke: Bautzen II, Sonderhaftanstalt unter MfS-Kontrolle 1956 bis 1989. Bericht und Dokumentation, Leipzig 2001
  • Hunger – Kälte – Isolation. Erlebnisberichte und Forschungsergebnisse zum sowjetischen Speziallager Bautzen 1945–1950. Bearbeitet von Cornelia Liebold und Bert Pampel, 2. Aufl., Dresden 1999 (= Lebenszeugnisse – Leidenswege, Heft 4)
  • Wege nach Bautzen II. Biographische und autobiographische Porträts. Eingeleitet von Silke Klewin und Kirsten Wenzel, Dresden 1999 (= Lebenszeugnisse – Leidenswege, Heft 8)
  • Hattig, Susanne/Klewin, Silke/Liebold, Cornelia/Morré,Jörg: Geschichte des Speziallagers Bautzen. 1945–1956. Katalog zur Ausstellung (= Schriftenreihe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Bd. 10), Dresden 2004

Publikationen der Bundesstiftung

  • Kaminsky, Anna (Hrsg.): Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Aufl., Berlin 2016
  • Kaminsky, Anna (Hrsg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018
 
  • Kategorie: Gedenkort
  • Historisch: Ja
  • Standort: Weigangstraße 8a
  • Stadt: Bautzen
  • Gebiet: Sachsen
  • Land: Deutschland