In der Nähe des Potsdamer Schlosses Cecilienhof zwischen Neuem Garten und Pfingstberg befand sich von 1945 bis 1994 das sowjetische Militärsperrgebiet „Militärstädtchen Nr. 7“. Ab August 1945 befand sich in der Leistikowstraße 1 (früher Mirbachstraße) das zentrale Durchgangs- und Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Spionageabwehr für die gesamte SBZ und die DDR. Die Spionageabwehr SMERSCH (deutsch: „Tod den Spionen“) war einer von vier sowjetischen Geheimdiensten, die mit der Roten Armee nach Deutschland kamen. Bis 1955 wurden im Gefängnis in der Leistikowstraße überwiegend sowjetische Staatsbürger aber auch Deutsche festgehalten, denen Sabotage, Kriegsverbrechen, Spionage, Terroraktionen oder Widerstand gegen die Besatzungsmacht bzw. die sowjetischen Streitkräfte vorgeworfen wurde. Zum Teil kamen auch Häftlinge in das Gefängnis, die von Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) zu mehrjährigen Haftstrafen bzw. zum Tode verurteilt worden waren. Ihr Weg führte über die Leistikowstraße weiter in sowjetische Speziallager oder in Straf- und Arbeitslager in der Sowjetunion.
Für die Nutzungszeit des Gefängnisses sind drei Entwicklungsphasen bekannt. Die erste umfasste die Jahre 1945 bis 1947, in denen der sowjetische Geheimdienst die vermeintlichen Anzeichen einer deutschen Partisanenbewegung („Werwolf“-Organisation) bekämpfte aber auch nach hochrangigen Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern fahndete. Es wurden Jugendliche aus zum Teil nichtigen Gründen (z. B. Weigerung am Russisch-Unterricht teilzunehmen, kritische Äußerungen gegenüber dem Sowjetregime), wegen angeblicher terroristischer Aktionen oder aufgrund von Denunziationen in die Leistikowstraße gebracht. In diesem Zusammenhang wurden auch 16-Jährige zum Tode oder zu 20 Jahren Arbeitslager verurteilt. Ehemalige KZ-Aufseherinnen und Verantwortliche für die Ausbeutung von Zwangsarbeitern erhielten ebenso wie Repatrianten mehrjährige Haftstrafen. In der zweiten Phase, ab 1948, rückte die Abwehr von Spionage in den Mittelpunkt des Geheimdienstinteresses. Im Gefängnis wurden nun tatsächliche und vermeintliche Spione verhört und inhaftiert. Die Verfolgung von Kriegsverbrechern bzw. die Entnazifizierung spielte keine Rolle mehr. Die Ermittlungen verliefen oft willkürlich und brutal; sie trafen zudem vielfach Unschuldige. Kontakte zu amerikanischen Besatzungsstellen, Kriegsgefangenschaft bei den Briten oder Amerikanern, wiederholte Reisen in die Westzonen und illegaler Grenzübertritt reichten aus, um der Spionage verdächtigt zu werden.
Nach Beendigung der Zuständigkeit der SMT für Deutsche nutzte der sowjetische Geheimdienst das Gefängnis in der dritten Phase ab 1955 im Rahmen der internen sowjetischen Militärgerichtsbarkeit. Es waren in der DDR stationierte sowjetische Soldaten und zivile Beschäftigte aus Militäreinrichtungen, die in der Leistikowstraße 1 gefangen gehalten wurden. Wegen kritischer Meinungsäußerungen oder versuchter Fahnenflucht, unter dem Vorwurf „feindlicher Gruppenbildung“, „antisowjetischer Propaganda“ oder des Landesverrates, wegen Diebstahl, Raub und anderer krimineller Delikte oder wegen schwerer Dienstvergehen wurden sie verhaftet und verurteilt.
Wie viele Häftlinge das Gefängnis durchliefen, ist bisher nicht bekannt. Sicher ist aber, dass die Leistikowstraße der Anfang eines zumeist mehrjährigen Leidensweges war, der in einzelnen Fällen auch mit dem Tod des Verurteilten im Speziallager oder in einem Straf- und Arbeitslager des Gulag endete.
Nach der Beschlagnahmung des Geländes 1945 entstand das „Militärstädtchen Nr. 7“, ein mehrere Gebäude der Leistikowstraße und der Großen Weinmeisterstraße umfassender Gefängnis- und Isolationskomplex, der durch einen drei Meter hohen Holzzaun und Wachtürme abgesichert war. Während sich im Gebäude in der Leistikowstraße 1 das Gefängnis befand, residierte in der Leistikowstraße 2/3 die Ermittlungsabteilung, wo u. a. die Verhöre stattfanden. An der Straßenecke zum Neuen Garten im ehemaligen Kaiserin-Augusta-Stift befand sich zudem die Geheimdienstzentrale der Spionageabwehr. In der vormaligen Kapelle des Stifts sprachen SMT ihre Urteile. Die Prozesse gegen die Untersuchungshäftlinge entsprachen keinen rechtsstaatlichen Kriterien und basierten auf oftmals unter Folter erpressten Geständnissen.
Bis 1991 wurde das Haus in der Leistikowstraße 1 als Gefängnis genutzt, anschließend diente es als Materiallager.
Nach dem Abzug der letzten russischen Truppen im August 1994 kam das Objekt zuerst unter die Verwaltung des Bundes; im Februar 1995 erhielt der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein (EKH) als Alteigentümer die Liegenschaft zurück und ermöglichte der Öffentlichkeit den Zugang. Die erste von Memorial Deutschland e.V. erarbeitete Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“ über die Geschichte des Ortes konnte bereits im Herbst 1997 in der zweiten Etage des Gebäudes besichtigt werden.
MEMORIAL Deutschland e.V. setzte sich gemeinsam mit dem Verein ehemaliges KGB-Gefängnis e.V. nachdrücklich für den Erhalt des Hauses in seinem authentischen Zustand ein und sorgte für die Dokumentation, Archivierung und Publizierung von Erinnerungen und Schicksalen ehemaliger Häftlinge.
Auf Initiative des EKH und einer Arbeitsgemeinschaft, die sich aus Betroffenen, interessierten Bürgern, Mitarbeitern der Potsdamer Gruppe von amnesty international und dem Berliner Förderverein der russischen Menschenrechtsorganisation MEMORIAL zusammensetzte, kam es zu dem Beschluss, in der Leistikowstraße 1 eine Gedenk- und Begegnungsstätte einzurichten. Der historische Ort des Untersuchungsgefängnisses wurde im Dezember 2004 unter Denkmalschutz gestellt. Es folgte 2006 ein Wettbewerb zur Konservierung des Gefängnisgebäudes und zur Errichtung eines Besucherzentrums für die geplante Gedenk- und Begegnungsstätte. Die Verantwortlichen entschieden sich für den Entwurf des Münchner Architekten Wolfgang Brune, der bis 2008 durch die finanziellen Mittel von Bund, dem Land Brandenburg, der EU, des EKH sowie der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Land Brandenburg umgesetzt werden konnte.
2008 wurde die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße gegründet, zunächst als eigenständige Stiftung, die treuhänderisch durch die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten verwaltet wurde. Seit dem 30. Juni 2023 gehört die Gedenk- und Bildungsstätte Leistikowstraße vollständig zur Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.
Die Gedenkstätte informiert mit Dauer-, Sonder- und Onlineausstellungen, einem breiten pädagogischen Angebot sowie mit Veranstaltungen über die Historie des Gebäudes und die damit verbundenen Haftschicksale sowie die Formen von Unterdrückung und Repression. Zu ihren Tätigkeiten gehört auch die Forschung, Sammlung und Bewahrung historischer Zeugnisse zur Geschichte der sowjetischen Untersuchungshaftanstalt. Den Mittelpunkt des Forschungsarchivs der Gedenkstätte bilden Akten aller namentlich bekannten Häftlinge des Gefängnisses.
Im April 2012 wurde die Dauerausstellung „Sowjetisches Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße Potsdam“ eröffnet. Die Ausstellung dokumentiert die Geschichte des Ortes. Dabei stehen Häftlingsschicksale im Mittelpunkt. Zudem können die Besucher unter anderem Zellen mit originalen Holzpritschen, Sicherungsvorkehrungen, die Fundamente der Freigangszellen oder Inschriften von Häftlingen an Kellerwänden besichtigen. Es finden regelmäßig Veranstaltungen statt und es werden Sonderausstellungen gezeigt. Die Gedenkstätte kann täglich außer montags individuell besichtigt werden. Führungen für Erwachsene und Schüler sind nach vorheriger Anmeldung möglich. Ein Lehrpfad mit 13 Informationsstelen führt Besucher außerdem entlang erhalten gebliebener Spuren durch die Geschichte der ehemaligen Geheimdienststadt „Militärstädtchen Nr. 7“.
Kontakt
Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam
Leistikowstraße 1
14469 Potsdam
Inschriften
Inschrift der ersten Gedenktafel
(an der Fassade der Gedenkstätte)
Zum Gedenken an die Menschen / die in diesem sowjetischen Gefängnis / von 1945 bis 1989 gelitten haben. // Памяти тех кто страдал в этой / советской тюрьме в период / с 1945 по 1989 гг.
Sprache: Deutsch / Russisch, Schrift: Kyrillisch / Lateinisch
Inschrift der Gedenktafel des Vereins "Gedenk- und Begegnungsstätte ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam e.V."
(neben der ersten Gedenktafel, an der Fassade der Gedenkstätte)
Und sollt' es auch kommen zum Streben / In düsterer Haft und im Schacht / Es wird in den lebenden Erben / Die Sache von Neuem entfacht / "Katorga-Lied", zitiert aus "Der Archipel Gulag I" von Alexander I. Solschenizyn // GEQUÄLT | GEFOLTERT | VERBANNT | ERSCHOSSEN // Zum Gedenken an unsere Kameradinnen und Kameraden / Gewidmet den unschuldig Verfolgten der sowjetischen Geheimdienste // Zeitzeugen-Initiative "Ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam" -2012
Sprache: Deutsch, Schrift: Lateinisch
Ereignisse
April 2012 - Eröffnung
Eröffnung der Dauerausstellung „Sowjetisches Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße Potsdam“
2008 - Errichtung
Gründung der Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße
Literatur
- Fein, Elke/Leonhard, Nina/Niederhut, Jens/Höhne, Anke/Decker, Andreas: Von Potsdam nach Workuta. Das NKGB/MGB /KGB-Gefängnis Potsdam Neuer Garten im Spiegel der Erinnerung deutscher und russischer Häftlinge, Potsdam 1999
- „Erschossen in Moskau …“. Totenbuch für die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Friedhof Donskoje 1950–1953. Hrsg. von Facts & Files (Berlin), Memorial (Moskau) und der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Berlin), Berlin 2005
- Erler, Peter: Relikt der Unmenschlichkeit. Die sowjetische Spionageabwehr und ihr Untersuchungsgefängnis in der Potsdamer Leistikowstraße 1, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 18/2005, S. 138–153
- Kurze, Gisela: Schatten zwischen Belvedere und Schloss Cecilienhof. Dokumentation zum Ehemaligen KGB-Gefängnis Potsdam Leistikowstraße 1 in den Jahren 1945 bis 1995, hrsg. von Memorial Deutschland e. V., Berlin 2005
- Amélie zu Eulenburg, Irmgard Zündorf (Hg.), Konkurrenz um öffentliches Gedenken. Erinnerungskulturen im Raum Potsdam und Brandenburg, Bielefeld 2023.